Der Seitensprung
fünfzehn Jahren zusammenlebte und der in der letzten Zeit so unnahbar gewesen war. Er stand hier in der Küche und versuchte, an sie heranzukommen.
Sie betrachtete ihn. Ein kleiner ängstlicher Junge, der einen viel zu großen Blumenstrauß ausstreckte. So kläglich, so vollkommen hilflos.
Und eines wusste sie ganz sicher, wenn auch vieles andere im Moment durcheinander geraten war, sie wollte auf keinen Fall seine Blumen.
»Hast du Blumen bekommen?«
»Nein, die sind für dich.«
Er reichte ihr den Strauß. Ihn anzunehmen wäre einer Niederlage gleichgekommen, hätte bedeutet, dass sie sich seiner Annäherung gegenüber öffnete, wenn auch nur ein winziges Stück, und das gedachte sie ganz gewiss nicht zu tun. Sie sah, dass ihr Zögern ihn irritierte. Dass er aus irgendeinem Grund alles tat, um freundlich zu wirken. Sie fragte sich, was er plante. Dass sie sich versöhnten und gute Freunde würden, bevor er die Bombe platzen ließ?
So leicht wollte sie es ihm nicht machen.
»Soll ich sie ins Wasser stellen?«
Sie begriff, dass sie keine Wahl hatte. Dass es zu abweisend gewesen wäre, die Blumen nicht anzunehmen, und sie ihm damit nur Vorschub leistete. Verflucht nochmal, mit einer Frau, die noch nicht einmal einen Strauß Rosen annimmt, kann man doch wirklich nicht zusammenleben!
Sie holte eine Vase herunter, ging zu ihm – ein Danke kam nicht über ihre Lippen -, nahm die Blumen und drehte sich zur Spüle. Sorgfältig schnitt sie einer Rose nach der anderen das Stielende ab und stellte sie in eine Vase. Er blieb hinter ihr stehen, vielleicht sammelte er Kraft, um sein Bekenntnis zu offenbaren. Sie musste ihn dazu bringen, noch zu warten, nur noch einen Tag, bis Lindas Vergangenheit sich im Kindergarten herumgesprochen und sie das Geld besorgt hatte. Ihr unnahbares Verhalten würde ihn natürlich in seinem Entschluss bestärken, sie zu verlassen, aber das spielte jetzt keine Rolle mehr. Sie hatte ihn im vergangenen Jahr so viele Male durch das Haus verfolgt, um ein Gespräch mit ihm anzufangen. Nun war er an der Reihe. Und dann würde keiner von beiden den anderen mehr verfolgen. Nie wieder. Nicht in diesem Haus und nirgendwo sonst. Im Gegenteil.
»Ich hatte Sehnsucht nach dir.«
Ihr Hand verharrte auf halbem Weg zwischen Spülbecken und Vase. Von selbst. Als ob sie, genau wie der Rest von ihr, nicht verstanden hätte, was die Worte bedeuteten.
Und auf einmal begriff sie, wie die Dinge in Wirklichkeit lagen.
Die Angst in seiner Stimme. Die roten Rosen. Seine einfältigen, aber tapferen Ansätze zu einer Versöhnung.
Während der Reise war etwas passiert.
Linda hatte ihn verlassen, und nun stand er starr vor Schreck hier und wollte sie zurückhaben. Nicht weil er sie liebte, sondern weil er keine Alternative hatte. Deshalb war er früher nach Hause gekommen. Sie hatten Schluss gemacht. Deswegen erkannte sie ihn plötzlich wieder, als die Kraft aus ihm gewichen war, die Lindas Verliebtheit ihm verliehen hatte.
»Während ich weg war, habe ich nachgedacht, wie du mir geraten hast, und ich würde dich gern um Entschuldigung bitten, weil ich in der letzten Zeit so mürrisch war. Und ich habe über die Islandreise nachgedacht, die du gebucht hast. Ich möchte wirklich gerne, dass wir beide dorthin fahren.«
Die neuen Umstände brachten den Boden unter ihren Füßen ins Wanken. Sie brauchte Zeit, um zu begreifen, was das bedeutete, wie sie mit der Situation umgehen sollte.
»Die habe ich storniert.«
»Dann buchen wir eine neue. Ich kann das machen.«
Jetzt klang er verzweifelt, flehentlich. Hauptsache, sie ließ ihn nicht an sich heran. Und auf einmal musste sie einsehen, was sie mit Hilfe ihrer Wut über die ihr angetane Kränkung verdrängen konnte. Sein Versuch, sich von ihr zu befreien, hatte etwas Attraktives an sich. Nicht der Betrug und die Lügen, für die verachtete sie ihn mehr, als man in Worte fassen konnte, aber dass er zum ersten Mal etwas auf eigene Faust vorangetrieben hatte, etwas, das für sie und die Kontrolle, die sie für gewöhnlich über ihn hatte, eine echte Herausforderung darstellte. Er war ein Mann gewesen, wenn auch ein Feigling, und kein zweites Kind, um das sie sich kümmern musste. Und während sie die nächste Rose in die Vase stellte, begriff sie, dass der Hass und die Rachsucht, die seine Untreue in ihr geweckt hatten, eine Reaktion darauf gewesen waren, dass sie endlich etwas in ihm gesehen hatte, zu dem sie respektvoll aufschauen konnte.
Einen eigenen Willen.
Und
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