Der Seitensprung
jetzt konnte sie ihn zurückhaben.
Aber es stand der alte Henrik vor ihr, der Henrik, den sie kannte. In all diesen Jahren hatte sie sich nie erlaubt, ihre Beziehung infrage zu stellen, eine Verpflichtung war eine Verpflichtung, sie hatte geglaubt, zum Bleiben gezwungen zu sein. Hatte sich nicht gestattet, sich die Verachtung einzugestehen, die sie für seine Schwäche empfand, weil er ihr erlaubte, die Überlegene zu sein. Mit dem Betrug hatte er ihr die Augen geöffnet, und es gab keinen Weg zurück. Er hatte sie erniedrigt und betrogen, und jetzt hatte er sich plötzlich anders entschieden und wollte zu ihr zurück.
Sie würde die Entscheidung allein treffen müssen.
Und für immer die Schuld tragen.
Das Telefon klingelte. Sie machte den nötigen Schritt und nahm ab, dankbar für die Gnadenfrist.
»Eva.«
»Hallo, ich wollte mich nur erkundigen, ob du den Taxator schon erreicht hast.«
Sie warf einen kurzen Blick auf Henrik, überlegte, ob er hören konnte, was ihr Vater sagte. Er hatte die Arme verschränkt und beobachtete sie genau. Ob er etwas gehört hatte, war nicht zu erkennen.
»Ich bin noch nicht dazu gekommen, kann ich dich später zurückrufen?«
»Natürlich.«
»Gut, das mache ich. Bis dann.«
Sie legte auf.
»Wer war das?«
»Mein Vater.«
Er gab sich damit zufrieden. Stellte nicht die Frage, die er stellen wollte.
Sie wandte sich wieder den Rosen zu, obwohl sie bereits in der Vase arrangiert waren, sie brauchte etwas zu tun, um die Distanz zwischen ihnen aufrechtzuerhalten.
»Ich soll dich übrigens von Janne grüßen.«
Dankbar griff sie den neutralen Gesprächsfaden auf.
»Aha. Wie geht es ihnen denn?«
»Gut. Er hat gesagt, er hätte dich vor einer Weile in einem Bistro gesehen.«
»Aha.«
»Du hast ihn wohl nicht bemerkt. Er machte einen Scherz über das Frischfleisch, mit dem du dich verabredet hattest.«
Sie griff nach der Vase und ging damit hinüber ins Wohnzimmer.
»Frischfleisch?«
»Ja, du warst anscheinend mit einem jungen Kerl essen.«
»Daran kann ich mich nicht erinnern. Wann soll das gewesen sein?«
Soweit sie sich erinnern konnte, hatte sie in der letzten Zeit mit niemandem außer ihren Kollegen Mittag gegessen. Und die waren definitiv kein Frischfleisch.
»Vor einer Woche vielleicht. Ich weiß nicht genau.«
Er war ihr ins Wohnzimmer gefolgt.
»Das kann ich nicht gewesen sein. Er muss sich getäuscht haben.«
Schweigend blieb er eine Weile stehen, und sie tat so, als ordne sie die Rosen noch einmal. Dann ging er endlich, sie hörte seine Schritte auf der Treppe.
Ihr Blick fiel auf eins von Axels Spielzeugautos, und plötzlich fiel ihr ein, dass sie vergessen hatte, von dem Mann beim Kindergarten zu erzählen und dass Axel die Nacht und den Tag bei ihren Eltern verbracht hatte. Gleichzeitig wurde ihr klar, dass sie ihn abholen musste, Henrik durfte ihre Eltern nicht treffen. Nicht, bevor alles fertig war. Und dann würde es keinen Grund mehr geben.
Im Wohnzimmer war es warm und muffig, die Sonne schien herein. Sie zog die Terrassentür einen Spalt auf, bevor sie in die Küche zurückging und die Spülmaschine öffnete. Noch eine Tätigkeit, hinter der sie sich ein Weilchen verstecken konnte. Sie hörte ihn die Treppe hinaufkommen, sah ihn aus den Augenwinkeln an der Tür vorbeigehen und stellte dankbar fest, dass er seinen Weg ins Schlafzimmer fortsetzte.
Die Verwirrung, die sie empfand, war so groß, dass sie Probleme hatte, das Geschirr aus der Spülmaschine an den richtigen Platz zu räumen. Sie hatte geglaubt, das Geschehen vollkommen unter Kontrolle zu haben, aber nun hatten sich alle Voraussetzungen verändert, alle Puzzleteile waren in die Luft geschleudert worden und durcheinander geraten, sie musste in der Entwicklung der Handlung einige Schritte zurückgehen, um wieder die Oberhand zu gewinnen. Welche Konsequenzen würde der Artikel jetzt haben, den sie in den Briefkasten von Simons Mutter gelegt hatte? Sie wusste es nicht mehr. Was mit Linda passierte, war ihr völlig schnuppe, aber vielleicht würden ihre eigenen Taten jetzt ihren Plan behindern. Sie musste in Ruhe nachdenken.
Wieder sah sie, wie Henrik auf seinem Weg aus dem Schlafzimmer die Küchentür passierte. Diesmal guckte er sie nicht einmal an. Wenn sie sich hinlegte und so tat, als würde sie eine Weile schlafen, hätte sie ihren Frieden und könnte in Ruhe nachdenken. Sie war ja sowieso zu Hause und nicht bei der Arbeit, weil sie Halsweh hatte.
Sie ging ins Schlafzimmer und
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