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Der Seitensprung

Titel: Der Seitensprung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Alvtegen
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schloss die Tür hinter sich. Auf der Tagesdecke lag ein rotes Buch mit einem kleinen Hängeschloss an der Seite. Und ihr schwarzer Spitzenbüstenhalter, durch dessen Kauf sie sich in einem anderen Leben erniedrigt hatte. Sie sank auf das Bett. Was wollte er damit? Ging er jetzt nicht zu weit? Schnell legte sie den BH in die oberste Schublade, ertrug seinen Anblick nicht. Dann setzte sie sich wieder aufs Bett, nahm das Buch und wog es in der Hand. Er wusste sehr gut, dass sie nicht Tagebuch schrieb, warum, in Gottes Namen, hatte er es gekauft? Sie entfernte das kleine Schloss und schlug die erste Seite auf. Etwas fiel heraus und landete auf ihrem Schoß. Zuerst sah sie nicht, was es war, und als sie es doch tat, konnte sie nicht glauben, dass es wahr war. Und wieder einmal wurde ihr schlagartig bewusst, dass sie den Mann, mit dem sie seit fünfzehn Jahren zusammenlebte, nicht kannte. Der Henrik, den sie zu kennen geglaubt hatte, hätte nie im Leben, nein, er wäre nicht einmal auf den Gedanken gekommen, sich ein Stück Haar abzuschneiden und es liebevoll in ein Tagebuch zu legen, das sie seiner Meinung nach beginnen sollte. Sie las die Worte auf der ersten Seite, nicht einmal die Handschrift erkannte sie wieder.
    »Für meine Geliebte! Ich bin bei dir. Alles wird gut. Ein Buch, das du mit den Erinnerungen an all das Wunderbare füllen kannst, das auf uns wartet.«
    Verblüfft las sie die Zeilen noch einmal. Wer war er eigentlich? Was hatte er noch für geheime Seiten, die sie während der vielen gemeinsamen Jahre weder entdeckt noch hervorgelockt hatte? Sie wusste einzig und allein, dass sie einen ehrlichen Versuch von seiner Seite in den Händen hielt, ihr seine Liebe zu zeigen. Dass er zu allem bereit war. Vielleicht war ihm das in diesen Tagen bewusst geworden. Dass er es wirklich noch einmal versuchen wollte.
    Sie spürte plötzlich, wie ihr die Tränen kamen und wie die Wut und der Hass, die sie in den vergangenen Tagen getrieben hatten, der unermesslichen Traurigkeit wich, die sie empfand. Die Müdigkeit, die sie überkam, als sie sich ihren Gefühlen hingab, war unbezwingbar. Ermattet kroch sie unter die Tagesdecke. Vielleicht gab es doch noch eine Möglichkeit? Aber wie sollte sie ihm je verzeihen können? Ihm jemals wieder vertrauen? Doch was wäre sie für eine Mutter, wenn sie ihm nicht wenigstens Axel zuliebe eine Chance gäbe? Das Unverzeihliche war nicht, dass er sich in eine andere verliebt hatte, beim Zustand ihrer Ehe war es sogar verständlich. Aber die Wunde, die der Betrug und die Lügen hinterlassen hatten, würde niemals heilen. Die Kränkung, dass er ihr nichts erzählt, nichts erklärt hatte, ihr keine Chance gab, zu reagieren und Stellung zu beziehen. Dass der Mensch, dem sie am nächsten zu stehen glaubte, ihr so wehgetan hatte, dass er nur an seinen eigenen Vorteil dachte. Wie sollte sie nach alldem jemals wieder Respekt vor ihm haben, nachdem er sich als so feige erwiesen hatte?
    Sie legte sich aufs Kissen und schloss die Augen. Einfach einschlafen zu dürfen. Einfach allem entschlummern und dann aus dem Albtraum erwachen, und alles wäre wie immer.
    Vielleicht war es ja so, dass ein einziges Wort von ihm gereicht hätte. Ein einziges Wort, aufrichtig und vollkommen ehrlich gemeint, vielleicht war das alles, was sie brauchte, um noch einen Versuch zu wagen. Um ihn als Mann respektieren zu können.
    Ein aufrichtig und ehrlich gemeintes »Verzeih mir«.

 
    SIE ERWACHTE, als die Schlafzimmertür aufgeschlagen wurde. Laut knallend hieb die Klinke eine tiefe Rille in die weiche Gipswand, und der Lärm ließ sie sich vor Schreck im Bett aufsetzen. Er stand auf der Türschwelle, und sein Gesichtsausdruck machte ihr Angst.
    »Verflucht, was bist du für ein Arschloch!«
    Sie warf einen Blick auf den Radiowecker. Viertel nach fünf. Sie hatte länger als sechs Stunden geschlafen.
    »Was ist los?«
    Vorsichtig.
    Er schnaufte.
    »Was los ist? Was, zum Teufel, glaubst du denn? Ist dir nie der Gedanke gekommen, dass ich vielleicht als Erster hätte erfahren sollen, dass du dich scheiden lassen willst und beabsichtigst, mich aus dem Haus zu schmeißen?«
    Sie hörte auf zu atmen.
    »Was meinst du, was das für ein Gefühl ist, es von deinen Eltern zu erfahren? Dazustehen wie ein ausgestopfter Karpfen und kein Wort zu begreifen?«
    Das Herz klopfte. Ihre Kontrolle verließ sie unaufhaltsam.
    »Warum hast du mit ihnen geredet?«
    Ihre Frage war idiotisch, das hörte sie selbst. Er tat es auch und

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