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Der seltsame Fall von Dr. Jekyll und Mr. Hyde

Der seltsame Fall von Dr. Jekyll und Mr. Hyde

Titel: Der seltsame Fall von Dr. Jekyll und Mr. Hyde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert L Stevenson
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Sinnlosigkeit und diesen wahnsinnigen Hang zum Bösen, die die leitenden Charakterzüge Edward Hydes waren, in Betracht gezogen. Und das wurde mir zum Fluch. Der so lange in meinem Innern eingesperrte Satan brach brüllend hervor. Bereits in dem Augenblick, als ich den Trank nahm, wurde ich mir eines ungezügelten, eines fast rasenden Hanges zum Bösen bewußt. Diese aufgespeicherte Wut muß es wohl auch gewesen sein, die in meiner Seele jene wütende Ungeduld erzeugte, mit der ich die höflichen Fragen meines unglücklichen Opfers anhörte. Feierlich erkläre ich vor Gott, daß kein Mensch mit moralisch gesundem Sinn sich durch einen so erbärmlichen Anlaß eines solchen Verbrechens schuldig gemacht hätte. Aber ich hatte freiwillig alle ein Gegengewicht bietenden Instinkte von mir gestreift, die es selbst dem Bösesten unter uns ermöglichen, mit einem gewissen Grad von Sicherheit Versuchungen zu vermeiden. In meinem Falle jedoch bedeutete Versuchung, sie mochte noch so schwach sein, bereits den Fall.
    Sofort erwachte in mir der Geist der Hölle und raste. In einem wahren Wonnetaumel zerstampfte ich den widerstandslosen Körper, und jeder Schlag erregte in mir neues Lustgefühl. Erst als ich von der Anstrengung zu ermüden begann, zuckte plötzlich auf dem Höhepunkt meines Deliriums ein eisiger Schreckensschauer durch mein Herz. Ein Schleier hob sich, ich sah mein Leben zerstört und floh von dem Schauplatz dieser Exzesse, gleichzeitig frohlockend und zitternd, mein Hang zum Bösen befriedigt und angeregt, meine Lust zum Leben bis aufs höchste gesteigert. Ich lief zu dem Haus in Soho und (um meine Sicherheit noch zu verdoppeln) vernichtete meine Papiere und schritt dann, immer noch in der gleichen zerrissenen Geistesekstase, durch die erleuchteten Straßen, mich an meinem Verbrechen weidend und leichtgemut neu für die Zukunft planend, dennoch in Hast und mit scharfen Sinnen auf die Schritte etwaiger Rächer lauschend. Mit einem Liedchen auf den Lippen
    mischte Hyde den Trank, und als er ihn nahm, trank er ihn auf das Wohl des toten Mannes. Die Qualen der Umwandlung waren noch nicht verklungen, da lag Henry Jekyll schon mit strömenden Tränen der Dankbarkeit und der Reue auf den Knien und streckte die gefalteten Hände zu Gott auf. Der Schleier der Selbstbeschönigung war von oben bis unten zerrissen, und ich sah mein Leben als ein Ganzes: Ich verfolgte es von den Tagen der Kindheit an, als ich an meines Vaters Hand schritt, durch die selbstverleugnenden Mühsale meines beruflichen Lebens, um wieder und wieder mit dem gleichen Gefühl der Unwirklichkeit zu den verfluchten Schrecken des Abends zu gelangen. Ich hätte laut aufschreien mögen. Mit Tränen und Bitten versuchte ich die unendliche Schar gräßlicher Bilder und Töne, mit denen Erinnerungen auf mich eindrangen, zu mildern, doch selbst zwischen meinen Gebeten starrte das scheußliche Antlitz meiner Bosheit in meine Seele. Im gleichen Maße, wie die Heftigkeit dieser Reue dahinschwand, folgte ihr ein Gefühl der Freude. Das Problem meiner künftigen Lebensführung war gelöst. Hyde war hinfort unmöglich; ob ich wollte oder nicht, ich war jetzt auf den besseren Teil meiner Existenz beschränkt. Und, oh, mit welcher Freude erkannte ich das, mit welch strebender Demut klammerte ich mich aufs neue an die Beschränkung natürlichen Lebens! Mit welch aufrichtigem Gefühl der Verzichtleistung verschloß ich die Tür, durch die ich so oft ein und aus gegangen war, und stampfte den Schlüssel in den Boden. Am nächsten Tage kam die Nachricht, daß der Mörder beobachtet worden war, daß die Schuld Hydes offen vor aller Welt lag und daß das Opfer ein Mann in hoher öffentlicher Stellung war. Es handelte sich nicht nur um ein Verbrechen, es war eine Wahnsinnstat von größter Tragik. Ich glaube, ich war froh, das zu wissen; ich glaube, ich war froh, daß mein besserer Impuls gestärkt und von den Schrecken des Schafotts bewacht wurde. Jekyll war jetzt meine Zufluchtsstätte. Hyde brauchte nur einmal hervorzuschauen, und die Hände der ganzen Welt würden sich erheben, ihn zu ergreifen und zu erschlagen.
    Ich beschloß, durch mein künftiges Verhalten die Vergangenheit zu büßen, und ehrlich kann ich behaupten, daß meinem Entschluß manches Gute entsproß. Du weißt selbst, wie ernst ich mich in den letzten Monaten des letzten Jahres mühte, Leid zu mildern. Du weißt, daß vieles für andere getan wurde und daß mir selbst die Tage ruhig, fast glücklich

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