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Der seltsame Fall von Dr. Jekyll und Mr. Hyde

Der seltsame Fall von Dr. Jekyll und Mr. Hyde

Titel: Der seltsame Fall von Dr. Jekyll und Mr. Hyde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert L Stevenson
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das andere beginnt.«
    Wieder schritt das Paar eine Weile still und versunken weiter, dann sagte Mr. Utterson: »Enfield, das ist eine gute Regel.« »Ja, das meine ich auch«, erwiderte Enfield. »Aber trotzdem«, fuhr der Anwalt fort, »gibt es einen Punkt, über den ich mich noch erkundigen möchte. Ich möchte den Namen des Mannes wissen, der das Kind niedertrampelte.« »Schön«, entgegnete Mr. Enfield, »ich sehe nicht ein, was das schaden könnte. Es war ein Mann namens Hyde.« »Hm«, sagte Mr. Utterson, »wie sieht der Mensch aus?« »Er ist nicht leicht zu beschreiben. Es liegt etwas Schlimmes in seiner Erscheinung; etwas Unangenehmes, etwas geradezu Widerwärtiges. Noch nie sah ich einen Menschen, der mir so mißfiel, und dennoch weiß ich kaum, weshalb. Er muß irgendwie mißgestaltet sein. Man hat das starke Gefühl der Mißgestaltung, obwohl ich nicht festzustellen vermochte, inwiefern. Er ist ein ganz ungewöhnlich aussehender Mann, und doch vermag ich tatsächlich nichts in dieser Hinsicht namhaft zu machen. Nein, Verehrtester, ich kann darüber beim besten Willen nichts sagen; ich kann ihn nicht beschreiben, aber es ist nicht etwa eine Lücke in meinem Gedächtnis, denn ich erkläre dir, ich sehe ihn in diesem Momente deutlich vor mir.«
    Mr. Utterson ging wieder eine Weile schweigend und offenbar in tiefes Nachdenken versunken weiter.
    »Bist du sicher, daß er einen Schlüssel benutzte?« erkundigte er sich endlich.
    »Aber mein Lieber ...«, begann Enfield vor Erstaunen außer sich.
»Ja, ja, ich weiß«, sagte Utterson, »ich weiß, diese Frage muß dir seltsam vorkommen. Tatsache ist, wenn ich mich nicht nach dem Namen des anderen Partners erkundige, so hat das seinen Grund darin, daß ich ihn bereits kenne. Du siehst, Richard, deine Geschichte hat auf mich einen tiefen Eindruck gemacht. Falls du in irgendeinem Punkte unexakt gewesen bist, wäre es gut, das zu berichtigen.«
    »Du hättest mich eigentlich warnen können«, erwiderte der andere mit einem Anflug von Verstimmtheit, »aber ich bin pedantisch genau gewesen, wie du zu sagen pflegst. Der Bursche hatte einen Schlüssel und, was wichtiger ist, er besitzt ihn noch. Noch keine Woche ist es her, als ich ihn den Schlüssel benutzen sah.«
    Mr. Utterson seufzte tief, sprach aber kein Wort mehr und der jüngere fuhr nach einer Weile fort: »Das ist mir wieder eine Lehre, nicht zu schwatzen. Ich schäme mich meines losen Mauls. Wir wollen uns das Versprechen geben, nie wieder auf diese Sache zurückzukommen.« »Von Herzen gern«, stimmte der Anwalt zu. »Hand darauf, Richard.«

2. Auf der Suche nach Mr. Hyde
    An jenem Abend kam Mr. Utterson von schweren Gedanken gequält nach Hause in seine Anwaltswohnung, und ohne jeden Appetit setzte er sich zum Abendessen. Es war seine Sonntagsgewohnheit, nach vollendetem Mahl dicht neben dem Kamin zu sitzen, ein Buch mit irgendeiner trockenen Bibelauslegung vor sich auf einem Lesepult, bis die Glocke der benachbarten Kirche die Mitternachtsstunde schlug. Dann ging er nüchtern und dankerfüllt zu Bett. Am heutigen Abend jedoch ergriff er, sobald das Tischtuch abgenommen war, eine Kerze und begab sich in sein Bureau. Dort öffnete er den Geldschrank und entnahm seinem verborgensten Fach ein Dokument, das auf dem Umschlag die Bezeichnung »Dr. Jekylls letzter Wille« trug, und setzte sich mit umwölkter Stirn zurecht, um den Inhalt zu studieren. Das Testament war mit der Hand geschrieben; denn Mr. Utterson hatte sich geweigert, obwohl er es jetzt, nachdem es erst einmal fertiggestellt war, in Gewahrsam genommen hatte, bei seiner Abfassung auch nur den geringsten Beistand zu leisten. Das Testament bestimmte nicht nur, daß im Falle des Ablebens des besagten Henry Jekyll, M.D., D.C.L., L.L.D., F.R.S. und so weiter sein gesamtes Vermögen den Händen seines »Freundes und Wohltäters Edward Hyde« zu übergeben sei, sondern daß im Falle von Dr. Jekylls »Verschwinden oder unaufgeklärter Abwesenheit für länger als drei Kalendermonate« der besagte Edward Hyde in des besagten Dr. Henry Jekylls Rechte ohne jeden weiteren Verzug und frei von allen Lasten oder Verpflichtungen außer der Zahlung von ein paar geringfügigen Summen an die Angehörigen von des Doktors Haushalt treten sollte. Dieses Dokument war schon lange ein Dorn in des Anwalts Auge gewesen. Es irritierte ihn, sowohl in seiner Eigenschaft als Anwalt wie als Anhänger einer gesunden und den traditionellen Gewohnheiten entsprechenden

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