Der Serienmörder von Paris (German Edition)
auswies. Juden, die wegen des gegen sie gerichteten Terrors um ihr Leben fürchteten, ließen sich doch wohl eher selten einen Reisepass von den deutschen Behörden ausstellen. In Paris versteckten sie sich in einem von den Deutschen beschlagnahmten Hotel.
„Die haben sich so versteckt, wie ich als frisch Vermählter“, spottete Petiot. „Ich zog mir das Laken über den Kopf und sagte zu meiner Frau: ‚Na, versuch mal mich zu finden.‘“
Dupin vergaß in dem darauffolgenden Gelächter, Floriot auf eine wichtige Auslassung hinzuweisen: Der Pass der Wolffs war nicht 1942 ausgestellt worden, wie man aufgrund des Hinweises glauben konnte, sondern neun Jahre zuvor.
Petiot gab den Mord an den Wolffs zu, wie auch den an dem jüdischen Ehepaar Gilbert und Marie-Anne Basch. Die beiden gehörten für den Arzt in eine ähnliche Kategorie und mussten sich demzufolge dem gleichen Schicksal stellen.
„Und was war mit den Schonkers, den Eltern von [Marie-Anne] Basch?“
Petiot konnte es wieder mal nicht lassen, sich über den Staatsanwalt lustig zu machen. „Von ihnen weiß ich nichts, aber wenn es Sie glücklich macht, können Sie sie meiner Liste hinzufügen. Sie kamen aus der gleichen Ecke. Falls ich ihnen begegnet wäre, hätte ich sie sicherlich getötet.“
Alle jüdischen Familien seien ihm angeblich von Eryane Kahan geschickt worden, der Frau, die laut der Verteidigung eine deutsche Agentin war, mit dem Ziel, Petiots Organisation zu infiltrieren.
„Und warum brachten Sie Eryane Kahan nicht um, wenn Sie wussten, dass die Frau mit den Deutschen kollaborierte?“
Angeblich wollte Petiot, dass sie ihm noch mehr Verräter vermittelte. „Hätte sie mir hundert Personen, ähnlich den Wolffs und den Baschs, geschickt, dann hätte ich hundert getötet. Kahan wäre die Nummer 101 geworden.“
Die mittlerweile den Prozess ähnlich einem Fußballspiel verfolgende Presse kürte Petiot meistens zum Sieger. Der Strafverfolgung war es noch nicht mal gelungen, die vor den Nazis fliehenden Juden als einfache Menschen darzustellen und nicht als Gestapo-Agenten.
Petiot ließ zufrieden einen Tag Revue passieren, der für ihn positiv verlaufen war. Fast allen Berichten zufolge stand es nach drei Tagen 2:1 für den Arzt.
Am Ende des Prozesstages verließen zwei elegante Frauen den Gerichtssaal, wobei sich eine Dame zur anderen umdrehte und sagte, dass sie „sich niemals köstlicher amüsiert hätte“. Ein hagerer Mann in einem schäbigen Anzug schnappte den Kommentar auf, schrie und griff die Frauen an. Wie man später erfuhr, war es ein Überlebender des Konzentrationslagers Auschwitz, der beinahe seine gesamte Familie in den Todeslagern der Nazis verloren hatte.
ICH GEHÖRE ZU DEN SCHRECKLICHEN MENSCHEN, DENEN DIE ARBEIT FREUDE BEREITET.
(Marcel Petiot)
A m Donnerstag, dem 21. März 1946, dem offiziellen Frühlingsbeginn, begann die Verhandlung mit einer Zusammenfassung des Untersuchungsrichters und endete mit dem Aufrufen des ersten Zeugen. Wie gewöhnlich artete das Prozedere in hitzige Debatten und überlange Diskurse aus, und natürlich konnte sich auch Petiot eine haarsträubende Geschichte nicht verkneifen. Er berichtete von einem Versuch der Nazis, einen Widerstandskämpfer zu ergreifen, der mit dem Fallschirm innerhalb der großen Getreideanbauflächen außerhalb Lyons abgesprungen war. Dazu mobilisierten sie eine „Armee“ „aus 400 Prostituierten“. Leser unterbrach Petiot wiederholt in seinem Redefluss, darauf bestehend, dass er beim Thema bleibe.
An dem Tag gab es kaum neue Informationen. Petiot erzählte, wie er in der Nähe des Place de la Concorde Yvan Dreyfus zu seinem sogenannten Chef Robert Martinetti geführt und den beiden Männern nachgeschaut habe, die sich in Richtung des Marineministeriums entfernten. Die Erklärung stand im Widerspruch zu einer früheren Angabe, nach der er Dreyfus bei seinen Kameraden in der Rue Le Sueur zurückgelassen habe. Erneut ließ sich die Staatsanwaltschaft die Chance entgehen, ihn zu einer Klärung dieser Diskrepanz zu drängen.
Stattdessen erlaubte man Petiot die Schilderung, wie er sich im Gefängnis gegen die Vernehmungsbeamten der Gestapo zur Wehr gesetzt hatte. Als man ihn zum Beispiel zu Dreyfus befragte, behauptete er, den Nazis geantwortet zu haben: „Falls er ein Jude ist, ist es doch völlig egal, wenn er verschwindet. Falls er ein Informant ist, werden sie schnell einen neuen finden.“ Petiot blickte den Vorsitzenden entschuldigend an: „Ich
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