Der Serienmörder von Paris (German Edition)
sagte nur, dass Petiots Verteidigung „kollabiert“. Allerdings konnte er keine bedeutenden neuen Erkenntnisse vorweisen oder einen Gegenbeweis liefern. Er wies lediglich auf Petiots Weigerung hin, eindeutige Aussagen zur Familie zu machen.
„Das stimmt nicht“, antwortete der Angeklagte und wies darauf hin, etliche Fragen zu dem Fall beantwortet zu haben. Er habe sich erst geweigert, als „ich eine Liste mit 362 Fragen unterschreiben sollte, die niemals gestellt worden waren“. Um die Aussage mit der gebührenden Dramatik zu untermalen, meinte er bissig: „Ich weiß nicht, ob solche Methoden zur normalen Polizeiarbeit gehören.“
Floriot fiel seinem Mandanten ins Wort. Seiner Ansicht nach war Petiots Aussage korrekt. Die Staatsanwaltschaft habe ihm niemals eine Liste „mit den angeblich in den Koffern gefundenen Gegenständen“ zukommen lassen.
Daraufhin unterbrach Dupin den Verteidiger und korrigierte ihn: „Der Untersuchungsrichter zeigte ihm mehrere Male die Inventarliste. Petiot verweigerte jede Antwort.“
„Warum müssen Sie hier solche Ungenauigkeiten verbreiten? Petiot hat niemals eine Inventarliste gesehen. Zeigen Sie mir doch die Passage in der Akte über das Verhör … Wenn Sie sie mir vorweisen können, werde ich augenblicklich die Juristerei einstellen.“
Elissade flüsterte mit Dupin, der bekanntgab, dass Untersuchungsrichter Ferdinand Gollety an dem Morgen bestätigt habe, dass man Petiot die Liste mehrmals vorgelegt hatte.
„Dann befragen Sie ihn auch bitte danach.“
Niemals habe ihm jemand die Liste gezeigt, antwortete Petiot.
„Sie hätten alles Mögliche in die Koffer legen können.“
Damit traf Petiot einen wunden Punkt. Genau genommen hatte er recht mit der Aussage, dass die Polizei ihm keine Inventarliste gezeigt hatte. Die Beamten hatten es angeboten, doch er hatte abgelehnt, da sie ihm die Koffer niemals gezeigt hatten, ganz abgesehen davon, sie zu öffnen und den exakten Inhalt zu erfassen. Die Siegel waren zudem zu einem späteren Zeitpunkt angebracht und bis zur Verhandlung mehrmals aufgebrochen worden, ohne ihn oder seinen Rechtsanwalt. Einige Ermittler hatten sich mit dem Inhalt befasst und die Koffer sogar öffentlich zur Schau gestellt. Unter diesen Umständen hatte Petiot natürlich die Unterschrift verweigert. Leser erkannte schnell die Brisanz der Situation und unterbrach den Prozess, um die Situation zu analysieren. Die Inventarliste wurde daraufhin außen vor gelassen.
Am späten Nachmittag rief man den ersten Zeugen auf, der sich als prozessdienlich erwies. Es war Lucien Pinault, Massus Nachfolger und der leitende Kommissar in der Zeit von Petiots Festnahme.
Der breitschulterige, stark schwitzende Mann hatte laut Pierre Bénard von France-Soir das „Gesicht eines freundlichen Boxers“. Pinault gab zu Protokoll, dass er eine Vielzahl langer Gespräche mit Résistance-Kämpfern geführt habe, von denen kein einziger Dr. Petiot (alias Dr. Eugène) erkannt oder von ihm gehört habe. Die nach ihm aussagenden Polizeibeamten lieferten so gut wie keine neuen Informationen.
Der fünfte Verhandlungstag begann am Freitag, dem 22. März. Professor Charles Sannié, Direktor des Identité Judiciaire des Naturkundemuseums Paris, zuständig für gerichtliche und polizeiliche Identifikationen, beschrieb die Beweise, die man in Petiots Haus fand. Die Geschworenen und die Journalisten hörten den Ausführungen des Wissenschaftlers gebannt zu, zumindest, was den ersten Teil anbelangte. Unruhe breitete sich aus, denn für den späten Nachmittag war eine Besichtigung von Petiots Haus in der Rue Le Sueur Nummer 21 geplant. Das gesamte Gericht sollte in einem langen Konvoi vom Justizpalast zum Beinhaus fahren. Damit verwandelte sich der „Zirkus Petiot“ in den „Wanderzirkus Petiot“.
René Floriot hatte auf der kurzfristigen Feldstudie bestanden, um den Geschworenen das Ausmaß der Verzerrung und Übertreibung zu demonstrieren, die durch die Polizeiangaben entstanden waren. Laut Verteidiger bestand die Absicht, das Gebäude nach dem Krieg in ein Klinikum umzuwandeln. Es treffe allerdings zu, dass Petiot das Haus auch kurzfristig für seine Antiquitätengeschäfte und als Hauptquartier der Résistance-Organisation genutzt habe. Den dreieckigen Raum als Exekutionskammer zu bezeichnen – wie die Zeitungen es während der Besatzungszeit taten, während sie die Sache mit sensationslüsternen Details ausschmückten, um die kriegsgeplagte Stadt von den wahren Problemen
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