Der Serienmörder von Paris (German Edition)
Petiot nicht lange nach Louisettes Verschwinden dabei gesehen, wie er einen großen Rattankorb in den Kofferraum seines Sportwagens lud. Die Zeugenaussage gewann wenige Tage später an Bedeutung, als der Leichnam einer jungen Frau in den Mittzwanzigern in einem ebensolchen Korb außerhalb von Dijon gefunden wurde. Kommissar Massu konnte den Stellenwert des Fundes besser einschätzen als seine Kollegen damals, denn ihm standen zusätzliche Informationen zur Verfügung. Die Leiche in dem Korb war geköpft worden, der Körper zerstückelt und die inneren Organe waren herausgeschnitten worden …
Massu führte seine Ermittlungen immer methodisch und mit so geringer emotionaler Beteiligung wie möglich durch. Er versuchte nicht, zwischen „großen“ und „kleinen“ Verbrechen zu unterscheiden, oder wie er es nannte: interessanten und uninteressanten Fällen. Bei jedem Fall handelte es sich im Grunde genommen um Opfer und Täter – die erste Gruppe musste identifiziert und die zweite festgenommen und der Justiz zugeführt werden. Nicht mehr und auch nicht weniger. „Mord ist Mord“, sagte er nüchtern.
Massu war ein gebürtiger Pariser, der am 9. Dezember 1889 zur Welt gekommen war. Der Vater starb in seinem zweiten Lebensjahr, und die Mutter musste die Familie daraufhin allein ernähren. Sie arbeitete in einem Lebensmittelgeschäft. Im Alter von 13 Jahren begann Massu die Arbeit bei einem Fleischer in der Rue des Capucines. Er verbrachte die nächsten sechs Jahre mit dieser Tätigkeit und schuftete bei verschiedenen Arbeitgebern in der Stadt. Im Januar 1908, kurz nach dem 18. Geburtstag, meldete er sich freiwillig für die Armee und trat dem 117. Infanterieregiment bei. Massu erreichte den Rang eines Sergeants und wurde zwei Jahre später entlassen. Schließlich fand er eine Anstellung im Kreditbüro des großen Kaufhauses Galeries Lafayette, nur wenige Schritte von Dr. Petiots zukünftigem Heim entfernt. Massu blieb dort, bis die Polizei seine Bewerbung positiv beschied.
Am 16. Dezember 1911, im Alter von 22 Jahren, begann Massu die Laufbahn in der Brigade Mobile unter Charles Vallet, die gegründet worden war, um die Sicherheit der Pariser auf der Weltausstellung 1900 zu garantieren. Seine ersten Arbeitstage fielen zufälligerweise mit der Verfolgung der berüchtigten Anarchisten zusammen, bekannt als die Bonnot-Bande.
Jules-Joseph Bonnot und seine Männer sahen den Diebstahl als einen Akt der Befreiung und entwendeten Automobile und Schnellfeuergewehre. Weder Geschäfte noch Privatwohnungen waren vor ihnen sicher. Am 21. Dezember 1911 raubten sie eine Zweigstelle der Bank Société Générale aus und flohen in einem Automobil, was ihnen einen eindeutigen Vorsprung verschaffte, denn die Polizei verfolgte damals Kriminelle entweder auf Fahrrädern oder Pferden. Das Regime der „Automobil-Banditen“, wie die Presse sie nannte, endete während Massus erstem Jahr bei der Polizei. Sie wurden getötet oder gefangen genommen.
Massu verbrachte die ersten Jahre mit der Verfolgung von Taschendieben, was er als eine „gute Ausbildung“ bezeichnete, denn er lernte dabei, einem Verdächtigen zu folgen, diese Person genau zu observieren und ihn oder sie schließlich auf frischer Tat zu ertappen. Der zukünftige Kommissar hatte sich zu einem geduldigen Detektiv mit einer scharfen Beobachtungsgabe entwickelt, der die Mittel und Wege der Polizeiarbeit bis ins kleinste Detail kannte. Besonders lobte man ihn für seine empathischen Fähigkeiten, durch die er sich in die Lage eines Kriminellen hineinversetzte. Seine Vorgesetzten übertrugen ihm zunehmend größere Verantwortungsbereiche, und er wurde im August 1921 zum Sekretär befördert und schließlich – im Januar 1933 – zum Polizeikommissar. Dabei erntete er den Ruf eines Vorgesetzten, der die Stärken und Schwächen der Männer in seiner Einheit erkannte und dementsprechend einsetzte. Einige superbe Vernehmungsbeamte konnten im ungünstigsten Fall noch nicht mal einen Taschendieb festnehmen, wohingegen einige Beamte, die sich bei Verfolgungsjagden als wahre Bluthunde entpuppten, in einem Verhörraum hoffnungslos verloren waren. Massus Aufgabe bestand darin, die verschiedenen Fälle den dafür geeigneten Ermittlern zu übergeben.
Seine eigene Spezialität lag im Verhör. Er gewichtete die Bedeutung einer Befragung für ein Ermittlungsverfahren außergewöhnlich hoch. An einem Tatort sichergestellte Beweise und erste Verhöre vor Ort stellten sich später oftmals
Weitere Kostenlose Bücher