Der Serienmörder von Paris (German Edition)
als durchaus fragwürdig heraus. Sie waren Spielball verschiedenster Interpretationen, und auch die Wissenschaft konnte im günstigsten Fall nicht als unfehlbar bezeichnet werden. Es war gut möglich, dass die Zeugen vor Ort logen, die Beamten in die Irre führten oder fehlerhafte Aussagen zu Protokoll gaben. Bei einem Verhör war es hingegen einfacher, detaillierte Informationen zu erlangen. Diese – wenn sie im Einklang mit verifizierbaren Beweisen außerhalb des Verhörraums standen – eröffneten den sichersten Weg im Rahmen einer Klärung der Schuldfrage, was letztendlich dazu führte, dass der Gerechtigkeit Genüge getan wurde.
Der Erfolg bei einem Verhör setzte die Fähigkeit voraus, die eigene Strategie individuell auf den jeweiligen Verdächtigen zuzuschneiden, der auf einem Stuhl mit einem grünen Samtbezug in Massus Büro saß. Ob es sich nun um einen Schlägertypen handelte oder einen ausgebufften Schwindler, war zuerst einmal egal, denn das Wichtigste war eine ruhige, entspannte Ausgangsatmosphäre. Ein Glas Bier oder ein trockener Weißwein konnten sich laut Kommissar oftmals günstiger auf die Vernehmung auswirken, als einem Verdächtigen ins Gesicht zu schreien, ihn zu bedrohen oder im schlimmsten Fall sogar zu schlagen. Massu konnte nicht nur voller Stolz mit den meisten Geständnissen der Behörde am Quai des Orfèvres aufwarten, sondern sich auch damit rühmen, diese „ohne die Stimme oder die Hand zu erheben“ erlangt zu haben.
1937 war die Weltausstellung nach Paris zurückgekehrt, woraufhin Massu die „Brigade Volante“ gründete, eine mobile Polizeieinheit zur Bekämpfung des während des 185-tägigen Spektakels, das 31,5 Millionen registrierte Gäste anzog, wodurch ebenfalls Verbrechen rapide zunahmen. Massu wollte sicherstellen, dass die „Feier des Friedens und des Fortschritts“ nicht von Morden oder vergleichbaren Tragödien überschattet wurde. Durchschnittlich ließ er 300 Verhaftungen monatlich durchführen, doch in einem wichtigen Punkt blieben der Kommissar und die Kollegen erfolglos.
Ein deutscher Tagedieb namens Eugen Weidmann hatte Touristen in seine kleine Villa im Westen von Paris, nahe St. Cloud, gelockt, wo er sechs Menschen ermordete, ausraubte und sie danach im Keller vergrub. Weidmann wurde schließlich aber doch gefasst, zum Tod durch die Guillotine verurteilt und im Juni 1939 hingerichtet. Die riesige pöbelnde und krakeelende Menschenmenge, die sich an dem Tag vor dem Gefängnis St. Pierre in Versailles versammelte, veranlasste den französischen Präsidenten Lebrun neun Tage später dazu, öffentliche Hinrichtungen abzuschaffen.
Nun, fast fünf Jahre nach dem Fall Weidmann, sorgte in Paris ein weiterer Serienmörder für Schrecken und Entsetzen, doch diesmal handelte es sich augenscheinlich um einen weitaus „geschäftigeren“ und bedrohlicheren Mann.
Mit dem Befehl der deutschen Behörden in der Hand machte sich Massu unverzüglich daran, einen Haftbefehl zur Ergreifung von Marcel Petiot und seiner Frau Georgette auszustellen. Seine Gattin beschrieb man wie folgt: „Ungefähr 40 Jahre alt, zierlicher Körperbau, blasser Teint und schmales Gesicht.“ Dr. Petiot, nun 47, war „ungefähr 1,80 Meter groß, eher korpulent, hatte einen stark ausgeprägten Kiefer mit einem leichten Doppelkinn, dunkles, kastanienbraunes Haar, das er zurückkämmte, und Geheimratsecken, er war stets frisch rasiert und trug für gewöhnlich einen leichten Übermantel“. Massu beschrieb Petiot im Text als „gefährlich“.
„Die Schritte bei einer Ermittlung folgen stets den gleichen Mustern“, erklärte Massu. „Erfassen von Aussagen, Zeugenbefragungen, die Suche nach Hinweisen und Fingerabdrücken am Tatort oder überall, wo es notwendig erscheint.“ Die Ergebnisse mussten danach auf der Suche nach „dem, was zur Erlangung der Wahrheit dienlich sein kann, verglichen und wissenschaftlich unter die Lupe genommen“ werden. Massu war guter Dinge und sich sicher, den Verdächtigen zu verhaften. Egal, wie schlau ein Mörder auch gewesen war, wie perfekt er den Plan ausgeklügelt und wie vorausschauend er sich bei der Ausführung verhalten hatte, an irgendeinem Punkt verhielt er sich laut Massu immer „wie ein Idiot“. Letztendlich würde er einen Fehler machen, und der Kommissar könnte zuschlagen.
Der Ermittlungsbeamte Marius Battut und einige Detektive der Mordkommission machten sich also auf den Weg zu Petiots Appartement in der Rue Caumartin, das nicht weit von den
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