Der Serienmörder von Paris (German Edition)
bevor oder nachdem er sie gefesselt an die Haken der schalldichten Zelle gehängt hatte? Um die Vorstellungskraft der Leser anzuregen und ihnen wahre Alpträume zu verkaufen, berichtete die Zeitung, dass Dr. Petiot eine furchterregende Maske trug, während er die Opfer quälte und sie daraufhin umbrachte.
Die von den Deutschen kontrollierte französische Presse berichtete über den Petiot-Fall für den Heimatmarkt, wohingegen die staatliche deutsche Nachrichtenagentur Deutsches Nachrichtenbüro (DNB) die Meldung über die „verkohlten und verstümmelten Skelette von 25 Frauen“, gefunden auf dem Grundstück des Arztes, international verbreitete. Fast jede Nacht berichtete das Organ detailliert über Petiot, der mit seinem Fahrrad in das leere Haus nahe des Triumphbogens gefahren war, um seinem bestialischen Handwerk nachzugehen, nämlich die Grube bis an den Rand mit Leichen zu füllen und den aus dem Schornstein aufsteigenden übelkeitserregenden Rauch zu verursachen.
Das DNB, wie auch die Pariser Presse, berichtete gelegentlich, dass Georgette Petiot von den Aktivitäten ihres Mannes gewusst oder ihn sogar dabei unterstützt hatte. Manchmal wurde sie aber auch als Ehefrau dargestellt, die nichts von dem Doppelleben ihres Gatten ahnte. Meist charakterisierte die von den Deutschen kontrollierte Presse Petiot als Raubtier, das es besonders auf Frauen abgesehen hatte. Sie beschrieben einen Arzt, der seine Frau zu Hause zurückließ und sich zu nächtlichen Rendezvous in der Rue Le Sueur aufmachte. Die Nachbarn schauten weg, da sie nichts von der vermeintlich romantischen Liaison wissen wollten.
Die weiblichen Besucher des Hauses, von denen angenommen wurde, sie seien „zwielichtige Damen der Pariser Halbwelt“, wollten angeblich Heroin, Kokain oder ein anderes Narkotikum. Doch sie erhielten nicht „den weißen Puder des Vergessens, sondern begegneten dem Tod höchstpersönlich“. Schnell folgerte man, dass Petiot den Frauen tödliche Substanzen in die Vene injizierte. Es war allerdings nicht klar, ob es sich um eine noch zu identifizierende Droge handelte, um die Überdosis eines Generikums oder eventuell eine selbsterfundene Mischung.
Wegen seiner guten Beziehungen gelang es Karl Schmidt, einem deutschen Journalisten des DNB, als einem der ersten, durch die dreieckige Kammer geführt zu werden. Er spekulierte, dass der Schlächter seine Opfer unter Drogen setzte, sie dann in den Raum zerrte, wo er sie fesselte und an die Haken der hinteren Wand hängte. Der Mörder richtete danach den Strahl zweier Scheinwerfer auf ihre Gesichter und beobachtete „die Qualen bis zum letzten Aufbäumen“. Vorher hatte der Arzt, dabei seine medizinischen Fähigkeiten einsetzend, sie immer weiter malträtiert, wahrscheinlich, um die Schmerzen so lange wie möglich erträglich zu machen. Danach zerstückelte er „den in sich verkrümmten Körper“ und warf die Teile in die Grube mit dem Löschkalk.
Massu wollte sich nicht zu voreiligen Schlüssen hinreißen lassen. Bekannt für seine Vorsicht, zog er eine behutsame Vorgehensweise vor und baute den Fall Stück für Stück auf, um Fehler zu vermeiden, die durch ein schnelles und oberflächliches Handeln entstehen konnten. Er war skeptisch, speziell wenn die Beweise zu klar oder offensichtlich erschienen.
„Ich habe schon oft erklärt“, meinte Massu gegenüber Canitrot, dem Sekretär der Mordkommission, „dass man sich hüten sollte, aus den offensichtlichen Beweisen voreilige Rückschlüsse zu ziehen.“ Wenn Polizisten ihre Theorie zu schnell auf „solchen Beweisen“ aufbauten, verfingen sie sich meist in einem undurchdringlichen Dickicht, mit möglicherweise „katastrophalen“ Folgen. Das fundamentale Problem, das sich jeder Ermittler vor Augen halten müsse, bestünde in der Interpretation der Beweise. Einerseits war Massu erleichtert, von der Gestapo unmissverständliche Instruktionen zu erhalten, dabei hoffend, dass sie der Ermittlung nicht in die Quere kamen oder sie behinderten. Doch andererseits sorgte er sich auch. Es kam selten vor, dass die Gestapo sich augenblicklich für einen französischen Kriminalfall interessierte. Wenn die Geheimpolizei sogar eine unverzügliche Verhaftung befahl, geschah das meist, um einen Täter dingfest zu machen, dessen Verbrechen schwerer wogen als eine oppositionelle Haltung gegenüber dem Regime. Bedeutete das womöglich, dass der Besitzer des Hauses in der Rue Le Sueur Nummer 21 die Résistance unterstützte?
Ohne zu
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