Der Serienmörder von Paris (German Edition)
Nézondet als „rechte Hand“ Petiots fungiert, wie Porchon sich ausdrückte.
Einmal überbrachte ihm Nézondet den Vorschlag Dr. Petiots, einen großen Alkoholvorrat des Arztes zu veräußern. Porchon konnte der Verlockung nicht widerstehen und rief einen Freund bei einem Großhandel an, der die deutschen Besatzer belieferte. Er war jedoch nicht interessiert. Es folgten weitere Angebote von Nézondet, die Porchon aber nicht ernst nahm.
Bei so einer Gelegenheit besuchte ihn Nézondet mit der Idee, einen neuen, von den Deutschen lizensierten Radiosender in Paris zu gründen. Während sie sich über das Vorhaben unterhielten, berichtete Nézondet einigen Tratsch über Petiot und nannte ihn dabei „den König der Ganoven“. Mit einem geheimnisvollen Unterton fügte er hinzu: „Ich hätte niemals geglaubt, dass er einen Mord begehen könnte!“
Laut der Aussage Porchons, der natürlich Näheres darüber erfahren wollte, habe ihm Nézondet hinter vorgehaltener Hand erzählt, im Keller eines Gebäudes irgendwo in der Stadt „16 aufgereihte Leichen“ gesehen zu haben. Allerdings verriet er nicht, wo sich das ominöse Haus befand. Porchon zeigte sich skeptisch, doch Nézondet beharrte darauf und erklärte, dass er sie mit eigenen Augen gesehen habe. „Sie waren völlig schwarz und müssen durch eine Giftinjektion gestorben sein.“
Danach soll Nézondet Porchon angeblich das Motiv Petiots erläutert haben. „Ich glaube, dass er von ihnen Geld für die Flucht in die freie Zone verlangt hat und sie dann tötete, anstatt ihnen zu helfen.“
Nézondet verpflichtete Porchon zum Stillschweigen und versicherte ihm, die Morde nach Kriegsende persönlich bei der Polizei anzuzeigen.
Diese Aussage allein war schon erschütternd, doch dann erfuhr Massu, dass Porchon die Geschichte der angeblichen Morde nicht zum ersten Mal der Polizei gebeichtet hatte. Am 2. August 1943 hatte er bereits seinen Freund benachrichtigt, den 42-jährigen Kommissar Lucien Doulet, damals Leiter der Abteilung Wirtschaftskriminalität mit ihrem Dienstgebäude am Quai de Gesvres, der sich hauptsächlich mit finanziellen Betrugsdelikten beschäftigte. Er berichtete ihm von den in der Unterwelt zirkulierenden Gerüchten über „einen Pariser Arzt, der unter dem Vorwand, junge Menschen aus dem Land zu schmuggeln, diesen Personen zwischen 50.000 und 75.000 Francs abnahm und sie nach der Zahlung tötete“. Der Arzt entledige sich nach Porchons Angaben der menschlichen Überreste, „indem er sie im Hinterhof des Hauses verscharrte“.
Doulet riet ihm, die Geschichte der Kriminalpolizei zu berichten, was er auch machte. „Er schien das alles auf die leichte Schulter zu nehmen“, sagte Porchon. Wie Massu herausfand, war der diensthabende Beamte ein Inspektor seiner Mordkommission: René Bouygues! Als Massu am 19. August René Bouygues von der Brigade Criminelle, einer Unterabteilung der Kriminalpolizei, zu dem Vorfall verhörte, gab dieser zu, Porchon seit fünf Jahren zu kennen und ihn als zuverlässigen Polizeiinformanten zu schätzen. Allerdings stritt er ab, jemals etwas von Petiot oder irgendwelchen Morden gehört zu haben. Später revidierte er die Aussage und sagte kleinlaut, dass er es „vergessen hätte“.
Dass Inspektor Bouygues den Versuch unternahm, sich für die Nichtverfolgung der mutmaßlichen Morde zu entschuldigen, unterstrich die unglaubliche Gleichgültigkeit gegenüber dem menschlichen Leben und die Geringschätzung der Einzelschicksale während der deutschen Besatzung. Es war eine finstere Zeit, in der Menschen ohne jegliche Erklärung und ohne jede Spur einfach verschwanden. Darüber hinaus zeigte Porchons Zeugenaussage das Ausmaß auf, in dem die Polizeibehörden – sogar bei einem ernstzunehmenden Hinweis auf einen Mord – eine Ermittlung einfach nicht durchführten oder versäumten. War das nun ein Beleg für die schiere Inkompetenz einer völlig überlasteten Polizei oder ein deutliches Zeichen dafür, dass jemand Petiot schützte? Just zu dem Zeitpunkt erhielt Massu die konkrete Information, dass am 11. März eine unbekannte Person zum Tatort in der Rue Le Sueur gekommen und dann wieder unbehelligt verschwunden sei. Die beiden Streifenbeamten Teyssier und Fillion, jene Polizisten, die mit dem Mann sprachen, hatten das bislang vehement abgestritten, was sogar so weit ging, dass sie auf ihrer Version beharrten, obwohl der Löschzugführer Corporal Boudringhin am 16. März eine anderslautende Zeugenaussage zu Protokoll
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