Der Serienmörder von Paris (German Edition)
noch die 3.456 Geschäftsteilhaber im Département, die man zwang, ihr Unternehmen an Nicht-Juden zu verkaufen. Dieser Schachzug der deutschen Besatzungsmacht verhöhnte im Grunde genommen Frankreichs Tradition der Toleranz, die Einwanderer wie Guschinow lange angezogen hatte.
Anfang Mai musste die Polizeipräfektur dem von den Deutschen erhobenen Zensus Folge leisten und die 150.000 männlichen Juden in Paris erfassen sowie die 6.494 ausländischen Juden aus Polen, Österreich und der Tschechoslowakei im Alter zwischen 18 und 60 Jahren. Man wies sie an, bis zum 14. des Monats bei einem von fünf Büros vorstellig zu werden. Die 3.747 Bürger, die der Aufforderung Folge leisteten, wurden unverzüglich in die Konzentrationslager Pithiviers und Beaune-la-Rolande deportiert. Die meisten von ihnen starben später in Auschwitz.
Drei Monate darauf wurde die französische Polizei gezwungen, die Nazis erneut bei der Deportation zu unterstützen. Sie riegelte einen Bereich des 11. Arrondissements nördlich und östlich des Place de la Bastille ab, wo eine hohe Anzahl von im Ausland geborenen Juden lebte, und griff die Männer im Alter von 18 bis 50 Jahren auf. Unter Einsatz von Gewalt wurden die Menschen aus ihrer Wohnung, vom Arbeitsplatz, aus der Métro und auf offener Straße verschleppt. Die bei der brutalen Polizeiaktion aufgegriffenen 2.894 Personen reichten den deutschen Behörden nicht. Darauf folgende Einsätze ließen die Zahl auf 4.232 Menschen ansteigen, die man alle in ein neues KZ in Drancy deportierte, ungefähr fünf Kilometer entfernt. Dort brachte man sie in eine alte, nicht fertiggestellte Wohnbausiedlung. In der Nacht vom 2. auf den 3. Oktober organisierte die Gestapo Krawalle und Brandschatzungen, bei denen sechs Pariser Synagogen zerstört wurden. Eine siebte sprengte man in die Luft. Es schien, dass die Judenverfolgung an Intensität drastisch zunahm. Täglich befürchtete Guschinow, verhaftet zu werden.
Wie Gouedo dem Kommissar erzählte, hatte Marcel Petiot, der Arzt Guschinows, behauptet, einen Fluchtweg aus dem Land zu kennen. Es sei nicht leicht, warnte der Doktor, doch mit Sicherheit möglich. Für 25.000 Francs würde ein Untergrundnetzwerk aus Fluchthelfern ihn über die Berge nach Spanien geleiten oder alternativ über die Demarkationslinie in die unbesetzte Zone, von wo aus er über Marseille mit einem Schiff nach Argentinien fliehen könnte. Alle Reisedokumente, darunter falsche Ausweise, gefälschte Reisepässe sowie Ein- und Ausreisevisa, würden bereitgestellt.
Guschinow sollte völliges Stillschweigen über die Geheimorganisation bewahren, doch er vertraute sich in der Aufregung seinem Kollegen an – ein glücklicher Umstand, welcher der Ermittlung half. Trotz Bedenken hinsichtlich eines solchen Unterfangens erklärte sich Gouedo bereit, dem Freund bei den Fluchtvorbereitungen zu helfen. Er erzählte Massu alles, was er wusste. Die Instruktionen waren detailliert und präzise. Der Flüchtling durfte weder Fotos noch Papiere bei sich tragen, die ihn identifizieren konnten. Alle Initialen auf Kleidungsstücken oder Gegenständen, die er bei sich trug, mussten entfernt werden, denn es wäre laut dem Arzt absolut kontraproduktiv, eine falsche Identität anzunehmen und dann Beweise mit sich herum zu tragen, die diese widerlegten oder Zweifel daran aufkommen ließen. Die „Gebühr“ richtete sich nach den Kosten für die Flucht, die die Unterbringung in diversen Verstecken beinhaltete, die Reise über den Atlantik und die Bestechungsgelder für korrupte Beamte entlang des Weges.
Man befahl Guschinow, sich auf einen oder höchstens zwei Koffer zu beschränken, woraufhin er sich zwei 500-US-Dollar-Banknoten in die Schultern seines Tweedmantels einnähte und eine weitere Summe in einem Geheimfach des Koffers verbarg. Insgesamt trug er eine Geldsumme von 500.000 Francs mit sich, zusammen mit einem kleinen Vermögen aus Gold, Silber, Diamanten und Erbstücken der Familie, wobei Letztere allein einen Wert von ungefähr 500.000 bis 700.000 Francs besaßen. Hinzu kamen noch verschiedene Pelzmäntel, um in Buenos Aires eine neue Boutique zu eröffnen.
Nachdem er die außergewöhnliche Geschichte gehört hatte, bestellte Massu Guschinows Frau Renée zu einer Vernehmung zu sich, die am 21. März 1944 stattfand. Die zierliche blonde Frau Anfang 40 bestätigte Gouedos Aussage in vielerlei Hinsicht und verriet darüber hinaus noch exakte Einzelheiten. Am 2. Januar 1942, in der Nacht der Flucht,
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