Der Serienmörder von Paris (German Edition)
sich in die Länge. Wochenlang meldeten Einwohner das Auftauchen des Mannes in Paris und in den umliegenden Regionen. Am 24. Juni stellte sich ein Mann mit einer merkwürdigen Geschichte auf dem Polizeirevier vor. Charles Rolland, ein ehemaliger Filmvorführer, hatte kurze Zeit in der französischen Armee in Tunesien gedient und behauptete, Petiot gut zu kennen.
Er war dem Mordverdächtigen erstmalig vor sieben Jahren begegnet. Es war in Marseille, als ihn eine Prostituierte namens Solange darauf ansprach, ob er sich auf die Schnelle 100 Francs verdienen wolle. Er müsse nur Sex mit ihr haben, während einer der reichen Kunden dabei zuschaue. Der finanziell angeschlagene Rolland stimmte sofort zu. Der Voyeur war Marcel Petiot.
Nach diesem Erlebnis, das in einer Ménage-à-trois kulminierte, ließ Petiot Rolland angeblich Drogen in Marseille für sich verkaufen. Die beiden Männer trafen sich in der Cintra-Bodega-Bar im alten Hafen, wo Rolland das Kokain in Empfang nahm und dann in der American Bar am Canebière weiterverkaufte. Das ganze Unternehmen lief nach einem ausgeklügelten Schema ab. Rolland suchte einen Kunden und versteckte daraufhin das Kokain im Behälter einer Toilettenspülung auf dem Männerpissoir. Der Kunde kam zu dem verabredeten Zeitpunkt, nahm das Päckchen und überreichte Petiot das Geld, wenn dieser die Toilette betrat.
Petiot in Marseille? Ja, versicherte Rolland, er habe in einem Hotel an der Rue Panier gewohnt. Ihre geschäftliche Beziehung im Rahmen des Drogenverkaufs hielt bis Anfang Januar 1938, als Rolland sich freiwillig beim 15. Infanterieregiment meldete und nach Tunesien verschifft wurde. Ein Jahr darauf musterte man ihn aufgrund zu geringer „physischer Kapazität“ aus. Rolland entschied sich dann, nach Paris zu ziehen und die Beziehung zu seinem alten Freund wieder aufleben zu lassen. Angeblich verkaufte Rolland weiterhin Drogen für Petiot, hauptsächlich in den Gaststätten Café de la Paix und Dupont-Bastille im sogenannten Opern-Distrikt.
Obwohl Rolland Ende 1940 aufgrund einer anderen Anklage verhaftet worden und längere Zeit inhaftiert gewesen war, erklärte er, Petiot noch zwei weitere Male getroffen zu haben. Zuerst sei er im Januar 1943 ohne Anmeldung zu dem Haus in der Rue Le Sueur Nummer 22 oder 21 gekommen. Ihm sei dabei angeblich Petiots Nervosität aufgefallen: „Er befand sich in einem merkwürdigen Zustand und wollte nicht, dass ich bleibe.“ Der Arzt habe sich gegen eine weitere Zusammenarbeit ausgesprochen, Rolland 500 Francs gegeben und ihn weggeschickt, wobei er behauptete, er erwarte jede Minute Patienten. Das Zimmer roch angeblich stark nach Chloroform.
Das zweite Mal sei es eine eher zufällige Begegnung gewesen, und zwar gegen Ende des folgenden Monats in der Cintra-Bodega in Marseille. Der Doktor habe sich hier freundlicher gezeigt. Er prahlte, nach dessen eigener Aussage, bei Rolland mit seiner neuesten Entdeckung, einem starken Aphrodisiakum, das er angeblich schon bei mehr als 60 Frauen ausprobiert habe. Dann habe Rolland Petiot um die Beschaffung einiger wichtiger Papiere gebeten, um der P.P.F. (Parti Populaire Français) beizutreten, einer Partei nazifreundlicher Kollaborateure, wobei dieser ihm auch geholfen haben soll. Petiot habe sich dann ebenfalls dafür entschieden, der militärisch-politischen Organisation unter dem falschen Namen „Marcel Sigrand“ beizutreten. Die beiden hätten sich daraufhin oft nahe des Strandes in Les Catalans oder im alten Hafen getroffen. Rolland hörte angeblich erst später wieder von Petiot, der in Südfrankreich, bekleidet mit einer Nazi-Uniform, Mitglieder der Résistance gejagt habe.
Diese Behauptungen waren hochgradig suspekt und natürlich aus der Luft gegriffen. Massu wusste, das Petiot zu dem Zeitpunkt, an dem er angeblich mit Rolland Drogen verkaufte, in Paris seine Praxis führte und die vermeintliche Fluchthilfeorganisation leitete. Er hielt sich nicht in Pont-Saint-Esprit auf (wie Rolland angegeben hatte), da er zeitgleich in Paris „Adrien, den Basken“ und andere Verbrecher von seinen Aktivitäten überzeugte. Darüber hinaus wurde Rollands Glaubwürdigkeit durch eine Reihe von Fehlern erschüttert. Petiots Haus lag nicht an „der Ecke“ der Rue Le Sueur. Weder lebte er dort noch gehörte ihm das Haus in den Jahren 1939 oder 1940, als Rolland ihn angeblich dort aufsuchte. Außerdem nannte Rolland eine ungenaue Adresse. Auch weitere Angaben stellten sich als nicht zutreffend heraus.
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