Der Sichelmoerder von Zons
und dort vor erst drei Jahren den Abschluss als Baccalaureus artium erhalten. Vor fast genau einem Jahr war er in das Dominikanerkloster St. Pauli in Leipzig eingetreten. Dort hatte man ihn mit offenen Armen empfangen, da sein Predigertalent für alle Welt offenkundig geworden war. Bereits nach kurzer Zeit begann Tetzel überall im Land herumzureisen und Ablasspredigten zu halten. Der Abt des Klosters Knechtsteden, der schon vor einiger Zeit von Tetzels großem Talent erfahren hatte, war heilfroh gewesen, als er ihn für eine Predigt im Kloster Knechtsteden gewinnen konnte.
Das Kloster steckte in großen finanziellen Schwierigkeiten, seit es von den burgundischen Truppen vor etlicher Zeit, im Jahr 1474, gebrandschatzt worden war. Der alte Abt Heinrich Schlickum hatte den Zusammenbruch seines Klosters nicht verwunden und starb noch im selben Jahr. Sein Nachfolger Ludwig von Monheim musste als neuer Abt das Kloster aus den Ruinen wieder aufbauen. Das war sehr teuer und mittlerweile hatten die vor dem großen Brand immer prall gefüllten Schatullen nichts mehr, als gähnende Leere zu bieten. Das Kloster brauchte dringend Geld. Es brauchte das Geld sosehr, dass selbst der Erlass der Sünde gegen Gulden in den Augen des Abtes kein Hindernis mehr darstellte. Viele der Mönche hatten sich anfangs dagegen gewehrt, aber die leeren Kassen und der Überlebenstrieb zwangen sie letztendlich dazu, sich umzustellen und an dem Gang der Geschichte mitzuwirken. Nicht ahnend, dass der geschäftsmäßige Handel mit Ablassbriefen wenige Jahrzehnte später den berühmten Priester Martin Luther zur Abfassung seiner 95 Thesen veranlasste und damit eine Reform in Gang gesetzt wurde, die den Papst Pius V. dazu brachte, im Jahr 1567 ein Verbot für den Ablasshandel auszusprechen.
Aber noch konnte kein lebender Mönch diese geschichtliche Entwicklung vorhersehen. Das Kloster steckte nun einmal in finanziellen Nöten und so handelte der Abt aus seiner Sicht zum Wohle der Gemeinschaft, denn Beten alleine machte keine hungrigen Mäuler satt. Natürlich sahen die jungen und ehrgeizigen Mönche, wie Albert, Huppertz und Conrad dies ganz anders! Sie würden lieber hungern, als sich so gotteswidrig zu verhalten. Ihre jungen Herzen schlugen für das, was ihnen beigebracht wurde. Für Gott, die Barmherzigkeit und ganz gewiss nicht für den mit Gulden erkauften Sündenerlass!
...
Bastian lief weiter durch die engen Gässchen von Zons in Richtung der Kirche. Er hatte seinen Bruder Albrecht schon lange nicht mehr gesehen. Er war sich nicht einmal mehr sicher, ob er ihn überhaupt wiedererkennen würde, wenn er ihm plötzlich gegenüberstünde.
Bastian öffnete die schwere knarrende Kirchentür und trat in die dunkle Halle ein. Was für eine Wohltat! Seine schwitzende Haut nahm die kühle Temperatur in der Kirche dankbar entgegen. Pfarrer Johannes stand vor dem Altar und tauschte die großen weißen Wachskerzen aus. Er hatte sich für den bevorstehenden Gottesdienst bereits umgezogen und trug ein prachtvoll verziertes Priestergewand.
„Bastian seid gegrüßt! Was treibt Euch zu so früher Stunde in meine Kirche?“
„Pfarrer Johannes, ich muss Euch unbedingt sprechen.“
Bastian kramte die Silberkette mit dem kleinen Schlüssel hervor und hielt sie Pfarrer Johannes entgegen. Diesem entfuhr bei dem Anblick der Kette ein erstauntes „Oh“ und augenblicklich legte er die weiße Wachskerze, die er eigentlich gerade in den Ständer stecken wollte, wieder zurück.
„Woher habt Ihr diese Kette?“
„Benedict Eschenbach, der Fahnenträger der St. Sebastianus-Schützenbruderschaft, hatte sie verschluckt.“
„Was meint Ihr damit, er hatte sie verschluckt?“
„Er wurde gestern Abend niedergestreckt. Ich war auf dem Weg nach Hause und habe ihn in einer dunklen Ecke der Grünwaldstraße direkt vor dem Haus des alten Jacob gefunden. Er lebte noch und hat mir kurz vor seinem Tod die Worte zugeflüstert ‚Rettet die Karte’. Wisst Ihr, was das zu bedeuten hat?“
Pfarrer Johannes forderte Bastian mit einer kurzen Geste auf, ihm zu folgen. Mit für sein hohes Alter erstaunlich schnellen Schritten lief er in den kleinen Nebenraum, dessen Eingang hinter dem Altar verborgen war und blieb plötzlich abrupt stehen. Bastian, der ihm dicht auf den Fersen gefolgt war, hatte Mühe seinen Lauf zu stoppen und sich zu fangen. Um ein Haar wäre er auf seinen alten Freund aufgeprallt! Pfarrer Johannes kratzte sich indes geistesabwesend am Kopf und
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