Der Sichelmoerder von Zons
einem Ruck ein großes schwarzes Tuch heraus. Bastian traute seinen Augen nicht. Es war eine Täuschung. Die Truhe war gar nicht leer. Doch bevor sich die Erleichterung in Bastian breitmachen konnte, stöhnte Pfarrer Johannes entsetzt auf:
„Das Gold ist tatsächlich weg!“
Er bekreuzigte sich. Dann zog er ein weiteres schwarzes Tuch hervor und öffnete den Holzboden, der darunter freigegeben wurde.
„Gott sei Dank! Die Karte hat er nicht gefunden! Das Geheimnis ist immer noch gewahrt.“
Erleichtert schnaufte Johannes laut auf und hielt dabei eine Hand an sein Herz. Die ganze Aufregung machte ihm arg zu schaffen. Er atmete tief durch und griff dann erneut in die Truhe. Geschickt zog er eine alte gelblich verfärbte Pergamentrolle hervor. Die Rolle war mit einem dicken roten Siegel versehen. Zufrieden setzte sich Pfarrer Johannes auf den Rand der Kiste und überreichte Bastian das Pergament.
„Was ist das?“
„Das ist die Karte vom Labyrinth.“
„Was für ein Labyrinth?“
„Unter Zons befindet sich ein verschlungenes Labyrinth. Als der Erzbischof von Saarwerden die Zollrechte vor über einhundert Jahren von Neuss nach Zons verlegte, lag dies nicht nur an der günstigeren Rheinlage von Zons. Der Erzbischof wollte die Kontrolle über das Labyrinth haben.“
„Es gibt ein Labyrinth unter Zons?“
Bastian konnte es nicht fassen. Das hatte er nicht gewusst.
„Ja. Früher hat es jeder gewusst, doch der Erzbischof ließ es absichtlich in Vergessenheit geraten.“
„Warum? Was wollte er mit einem Labyrinth? Der Reichtum der Stadt Zons rührt doch aus den vortrefflichen Zolleinnahmen, oder etwa nicht?“
„Mein lieber, kluger Bastian, manchmal ist es nicht das Gold alleine, das uns Heil bringt. Der Erzbischof musste ein Geheimnis verstecken, was mit Gold alleine nicht aufzuwiegen ist!“
„Was für ein Geheimnis? So erzählt es mir doch oder wollt Ihr mich auf die Folter spannen?
Der alte Pfarrer lachte über die Ungeduld in Bastians Stimme.
„Lasst uns wieder nach oben gehen, Bastian. Im Hellen kann ich Euch die Karte besser erklären und dann erfahrt Ihr auch, was unter der Stadt Zons verborgen ist!“
Mit diesen Worten erhob sich Johannes und stieg die alte Felstreppe wieder nach oben. Er war sichtlich überanstrengt und ächzte bei jeder Stufe, die er nehmen musste. Bastian folgte ihm und konnte kaum einen klaren Gedanken fassen. Ein Labyrinth unter Zons, direkt unter seinen Füßen. Er konnte es kaum glauben. Am liebsten hätte er Johannes die Treppe wie einen Mehlsack hinaufgetragen, denn die Ungeduld nagte an ihm, wie eine hungrige Ratte. Doch Bastian beließ es bei dem Gedanken und schlich langsam hinter dem schnaufenden Pfarrer her.
Endlich hatten sie die Kirchenhalle wieder erreicht und liefen mit der Karte zurück in den kleinen Nebenraum hinter dem Altar. Erschöpft ließ sich Johannes auf einen Stuhl sinken.
„Darf ich das Siegel aufbrechen und einen Blick auf die Karte werfen?“
„Nur zu, mein junger Freund. Lasst Eurem Wissensdurst freien Lauf. Prägt Euch die Gänge gut ein, denn Ihr werdet etwas für mich holen müssen!“
„Das Geheimnis des Bischofs?“
Der Pfarrer nickte und wischte sich mit einem Tuch die Schweißperlen von der Stirn. Bastian betrachtete beeindruckt das schwere rote Siegel des Erzbischofs von Köln. Er erkannte in der Mitte des Siegels den sitzenden Erzbischof. Auf der linken Seite befand sich das Wappen von Saarwerden, auf dem ein doppelköpfiger Adler dargestellt war. Auf der rechten Hälfte sah er das Wappen des Erzbistums Köln, versehen mit dem bekannten großen Kreuz. Ehrfürchtig brach Bastian das Siegel auf und rollte das Pergament auseinander. Vor seinen Augen erschien eine Karte, die aus vielen miteinander verschlungenen Pfaden bestand. Das Labyrinth ragte am südlichen Teil weit über die Stadtmauern hinaus. Bastian erstarrte. War das etwa ein Geheimgang, mit dem man mühelos die dicken Stadtmauern von Zons umgehen konnte?
„Macht Euch keine Sorgen, Bastian. Niemand kennt diesen Zugang. Selbst ich sehe dies zum ersten Mal.“
„Wie könnt Ihr da so sicher sein?“
„Zons ist eine uneinnehmbare Stadt. Der Erzbischof hätte niemals eine Lücke in der Festung zugelassen. Die besten Burgarchitekten haben die Anlage geplant und seit über einhundert Jahren ist es noch keinem Feind gelungen, hier einzudringen. Ich habe felsenfestes Vertrauen in diese Mauern, Bastian.“
Bastian runzelte die Stirn und merkte sich diesen Punkt für
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