Der Sichelmoerder von Zons
die man tief ins Gesicht ziehen konnte. Da er oft in der Kirche war, roch er sicher nach Weihrauch. Allerdings besaßen alle Mitglieder der St. Sebastianus-Schützenbruderschaft dieselben schwarzen Mäntel und sie waren auch alle sehr oft in der Kirche vor dem St. Sebastianus-Altars anzutreffen. Mehr oder weniger könnte es jeder von ihnen gewesen sein. Aber nur Huppertz hatte diese kleinen, bösen, schwarzen Augen! Und er hatte das Gold gestohlen! Er war dazu in der Lage! Bastian überlegte hin und her. Seine Wangen begannen zu brennen und fingen an sich zu röten. Was hatte Huppertz für ein Motiv? Eine Stimme in seinem Inneren warnte ihn: Er hat das Gold doch schon! Warum sollte er sein eigenes Weib verschwinden lassen!
Bastian schüttelte den Kopf. Vielleicht war es auch zu offensichtlich. Die schwarze Kleidung deutete zu stark auf die Bruderschaft hin. Er überlegte, wen er noch in einer dunklen Kutte gesehen hatte. Da fiel ihm Conrad ein. Er war Mönch im Kloster Knechtsteden und trug stets eine dunkle Kutte. Im Kloster roch es ständig nach Weihrauch und vielleicht war Conrad doch gar nicht unfreiwillig, sondern ganz bewusst verschwunden. So konnte er nicht verdächtigt werden, die beiden Frauen entführt zu haben. Vielleicht war er das enthaltsame Klosterleben endgültig satt. Bastian hatte einmal beobachtet, wie er zusammen mit seinem Vetter, dem Arzt Josef Hesemann, einem Kranken einen schwarz gewordenen Fuß amputiert hatte. Er sah genau die brutalen Sägebewegungen des Mönches vor sich. Sein Mantel hatte sich im Wind aufgeblasen und dieses Sägegeräusch und das Zerbersten des Knochens, begleitet von den fast unmenschlichen Schreien des Kranken, waren unerträglich für Bastian gewesen. Selbst Josef hatte blass ausgesehen, doch Conrad hatte es nichts ausgemacht. Ruhig und im immer gleichen Rhythmus hatte er weitergesägt und sich nicht ablenken lassen. In der Tat, Bastian sah ihn jetzt wieder genau vor sich, er hatte ausgesehen wie der Teufel persönlich!
...
Schweißgebadet wachte Bastian auf. Er hatte geträumt. Er erinnerte sich an diesen Traum. Er hatte ihn schon einmal erlebt und jetzt wusste er, in welchen dunklen Gängen sich das schöne Mädchen mit den grünen Augen verloren hatte. Sie war im Labyrinth unter Zons und der schwarze Teufel war hinter ihr her. Bastians Herz raste. Leise schlich er aus dem Bett, ohne Marie zu wecken. Auf Zehenspitzen stieg er die kleine, steile Holztreppe zur Stube hinab und zündete eine Kerze an. Dann zog er die Karte vom Labyrinth unter dem Tisch hervor. An dieser Stelle hatte Bastian sie vorerst versteckt. Er rollte das alte Pergament aus und leuchtete mit der Kerze die vielen Gänge ab. Dann nahm Bastian sein Notizbuch hervor und notierte eine Reihe von Symbolen. Zwar hatte Pfarrer Johannes ihm verboten, das Geheimnis aufzuschreiben, aber ein paar verschlüsselte Notizen zum Labyrinth konnten nicht schaden. Außerdem müsste erst einmal jemand seinen Geheimtext entziffern, bevor er die Notizen lesen konnte. Schnell riss er die letzte Seite aus seinem Buch heraus und begann den Symbolen einzelne Buchstaben zuzuordnen. Nur mit diesem Blatt könnte ein Fremder die Symbole entschlüsseln und dieses würde Bastian gut verstecken.
XII
Gegenwart
Anna betrachtete das uralte Papier, welches gerade unter dem Heizkörper hervorgerutscht war. Auf der linken Seite konnte sie Buchstaben erkennen und auf der rechten Seite war jedem Buchstaben exakt ein Symbol zugeordnet. Anna blickte zu Emily, die immer noch brummelnd auf ihrem Bett saß und versuchte, die Aufzeichnungen von Bastian Mühlenberg zu entziffern. Sie blätterte hektisch in den Unterlagen hin und her und schüttelte dabei ihren Kopf.
„Ich verstehe gar nichts mehr. Hier könnte auch etwas auf Chinesisch stehen!“, Emily stöhnte und ließ sich entnervt nach hinten in die Kissen fallen. Anna nahm sich die Notizen und verglich die dort enthaltenen Symbole mit denen auf dem Blatt Papier, welches sie gerade gefunden hatte. Dann nahm sie sich ein neues, leeres Blatt und fing an zu schreiben.
„Was tust du da?“, fragte Emily neugierig.
Anna antwortete nicht sofort. Fasziniert übersetzte sie die verschlüsselten Notizen von Bastian Mühlenberg, indem sie jedem Symbol einen Buchstaben zuordnete. Als sie fertig war, blickte sie auf und schenkte Emily ein strahlendes Lächeln.
„Ich kann dir genau sagen, was Bastian Mühlenberg in seinen Notizen geschrieben hat“, sie holte noch
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