Der siebente Sohn
und wegsah.
»Meistens begreife ich den Witz, wenn die Leute lachen«, meinte Geschichtentauscher.
»Ich habe mir nur gerade überlegt, daß wir wirklich eine ziemlich armselige Verschwörung schmieden, nur wir beide gegen all die Feinde, denen dieser Junge gegenüberstehen wird.«
»Das ist wahr«, meinte Geschichtentauscher, »aber wir haben gute Gründe; so daß die ganze Natur sich mit uns zusammen verschwören wird, meinst du nicht?«
»Und Gott ebenfalls«, fügte sie entschieden hinzu.
»Dazu kann ich nichts sagen«, meinte Geschichtentauscher. »Die Prediger und Priester scheinen ihn so mit ihren Dogmen in die Enge getrieben zu haben, daß der arme alte Vater kaum noch Platz hat, um sich zu rühren. Jetzt, da sie die Bibel endlich sicher gedeutet haben, wollen sie alles, nur nicht, daß er noch ein weiteres Wort spricht oder die Macht seiner Hand auf dieser Welt offenbart.«
»Ich habe die Macht seiner Hand vor einigen Jahren bei der Geburt des siebenten Sohnes eines siebenten Sohnes gesehen«, erwiderte sie. »Nennt es Natur, wenn Ihr wollt, da Ihr ja alles mögliche von den Philosophen und Zauberern gelernt habt. Ich weiß nur, daß er so eng mit meinem Leben verbunden ist, als wäre wir demselben Mutterschoß entsprungen.«
Geschichtentauscher überlegte sich seine nächste Frage nicht, sie perlte unbedacht von seinen Lippen. »Bist du froh darüber?«
Sie blickte ihn mit schrecklicher Trauer in den Augen an. »Nicht oft«, sagte sie. Daher sah sie so müde aus, daß Geschichtentauscher sich nicht mehr beherrschen konnte, er schritt um den Tisch, stellte sich neben ihren Stuhl und hielt sie fest wie ein Vater seine Tochter, hielt sie sehr lange fest. Er wußte nicht zu sagen ob sie weinte oder sich nur festhielt. Sie sagten kein einziges Wort. Schließlich ließ sie los und wandte sich wieder dem Kontobuch zu. Er ging davon, ohne das Schweigen zu brechen.
Geschichtentauscher schlenderte zum Gasthof hinüber, um das Abendessen zu sich zu nehmen. Es gab Geschichten zu erzählen und Arbeiten zu erledigen, um seinen Unterhalt zu verdienen. Und doch schienen alle Geschichten neben jener einen zu verblassen, die er nicht erzählen konnte, jener Geschichte, deren Ende er nicht kannte.
Auf der Weide um die Mühle stand ein halbes Dutzend Wagen, von Farmern bewacht, die von sehr weit hergekommen waren, um Mehl von hoher Qualität zu kaufen. Ihre Frauen würden nicht länger über Mörser und Stößel schwitzen müssen, um grobes Mehl für hartes und klumpiges Brot zu mahlen. Die Mühle war in Betrieb, und alle in einigen Meilen Umkreis würden ihr Getreide zur Stadt Vigor Church bringen.
Das Wasser strömte durch die Mühlrinne, und das große Rad drehte sich. In der Mühle wurde die Kraft des Rads durch Zahnräder weiterbefördert, um den oberen Mühlstein zu drehen. Der Müller schüttete den Weizen auf den Stein. Der obere Stein glitt darüber und mahlte ihn zu Mehl. Der Müller strich es für einen zweiten Durchgang glatt, dann bürstete er es in einen Korb, den sein Sohn für ihn hielt, ein zehnjähriger Junge. Sein Sohn schüttete das Mehl in ein Sieb und gab das gute Mehl in einen Tuchsack. Was im Sieb blieb, leerte er in ein Silofaß. Dann kehrte er an die Seite seines Vaters zurück, um den nächsten Weizenkorb zu holen.
Ihre Gedanken glichen einander in bemerkenswerter Weise, wie sie so schweigend zusammen arbeiteten. Genau diese Arbeit möchte ich weiterhin tun, dachte jeder. Am Morgen aufstehen, zur Mühle kommen und den ganzen Tag an seiner Seite arbeiten. Es machte nichts, daß der Wunsch keine Wirklichkeit werden konnte. Es machte nichts, daß sie einander vielleicht nie wiedersehen würden, wenn der Junge erst einmal gegangen war, um am Ort seiner Geburt seine Lehre anzutreten. Es verstärkte nur die Schönheit des Augenblicks, der schon bald Erinnerung, der schon bald ein Traum werden würde.
ENDE
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