Der siebente Sohn
Und ich bin auch nur schwer zu überzeugen. Wenn Ihr mir Eure Geschichten erzählt, werde ich Euch meine erzählen, und an diesem Tausch würden wir beide gewinnen, da niemand von uns das verliert, womit er angefangen hat.«
»Ich habe keine Geschichten«, sagte Brustwehr, obwohl er gerade eine Geschichte vom Propheten und eine andere von Ta-Kumsaw erzählt hatte.
»Das ist eine traurige Nachricht, und wenn dem so sein sollte, dann bin ich tatsächlich ans falsche Haus geraten.«
Geschichtentauscher erkannte, daß er wirklich besser weiterzog. Selbst wenn Brustwehr nachgab und ihn einließ, würde er von Mißtrauen umgeben bleiben, und Geschichtentauscher konnte nirgendwo leben, wo die Leute ihn die ganze Zeit genau beobachteten. »Ich wünsche Euch einen guten Tag.«
Doch Brustwehr ließ ihn nicht so leicht ziehen. Er nahm Geschichtentauschers Worte als Herausforderung. »Warum sollte das traurig sein? Ich lebe ein ruhiges, gewöhnliches Leben.«
»Keinem Menschen erscheint sein eigenes Leben als gewöhnlich«, erwiderte Geschichtentauscher, »und wenn er sagt, daß es so sei, so ist das eine Geschichte von jener Art, wie ich sie nie erzähle.«
»Heißt Ihr mich etwa einen Lügner?« wollte Brustwehr wissen.
»Ich frage Euch nur, ob Ihr einen Ort wißt, wo mein Talent willkommen wäre.«
Geschichtentauscher sah, wenngleich Brustwehr es nicht tat, wie die Frau mit den Fingern der rechten Hand eine Beruhigung durchführte und mit der Linken das Handgelenk ihres Mannes hielt. Es war sehr geschmeidig ausgeführt, und der Mann mußte schon sehr gut daran gewöhnt sein, da er sich spürbar entspannte, als sie ein Stück vortrat, um zu antworten. »Freund«, sagte sie, »wenn Ihr den Weg hinter jenem Hügel dort nehmt und ihm bis ans Ende folgt, über die Brücken zweier Bäche, so gelangt Ihr zum Haus von Alvin Miller, und ich weiß, daß man Euch dort aufnehmen wird.«
»Ha«, sagte Brustwehr.
»Danke«, erwiderte Geschichtentauscher. »Aber woher könnt Ihr so etwas wissen?«
»Sie werden Euch so lange aufnehmen, wie Ihr bleiben wollt, und Euch nie fortschicken, solange ihr Bereitschaft zeigt, ihnen zur Hand zu gehen.«
»Bereit bin ich stets, Milady«, sagte Geschichtentauscher.
»Immer bereit?« fragte Brustwehr. »Niemand ist immer bereit. Ich dachte, Ihr würdet stets die Wahrheit sagen.«
»Ich sage stets, was ich glaube. Ob es auch die Wahrheit ist, dessen bin ich mir ebensowenig gewiß wie jeder andere Mensch.«
»Warum nennt Ihr mich dann ›Sir‹, obwohl ich kein Ritter bin, und nennt sie ›Milady‹, obwohl sie von ebenso gemeiner Herkunft ist wie ich?«
»Oh, ich glaube nicht an die Ritterschläge des Königs, deshalb. Der heißt einen Mann einen Ritter, weil er ihm einen Gefallen schuldig ist, ob es ein wahrer Ritter sein mag oder nicht. Und alle seine Damen an seinem Hof werden ›Ladys‹ genannt, für das, was sie zwischen den königlichen Laken tun. So werden diese Worte unter den Cavaliers benutzt – die Hälfte der Zeit nichts als Lügen. Aber Eure Frau, Sir, hat wie eine wahre Lady gehandelt, anmutig und gastfreundlich. Und Ihr, Sir, habt Euch wie ein wahrer Ritter verhalten, indem Ihr Euren Haushalt vor den Gefahren geschützt habt, die Ihr am meisten fürchtet.«
Brustwehr lachte laut los. »Ihr redet so einschmeichelnd daher, daß ich wetten will, Ihr müßt eine halbe Stunde am Salz lutschen, um den Zuckergeschmack wieder aus dem Mund zu bekommen.«
»Das ist meine Fertigkeit«, erwiderte Geschichtentauscher. »Aber ich habe auch andere Möglichkeiten zu sprechen, wenn es die rechte Zeit dafür ist. Ich wünsche Euch einen guten Nachmittag, ebenso Eurer Frau und Euren Kindern und Eurem christlichen Hause.«
Geschichtentauscher schritt auf das Gras der Gemeindeweide hinaus. Die Kühe beachteten ihn nicht, weil er tatsächlich einen Schutz hatte, wenngleich nicht von jener Sorte, wie Brustwehr sie jemals zu sehen bekommen würde. Geschichtentauscher saß eine Weile im Sonnenschein da, um sein Gehirn aufzuwärmen, in der Hoffnung, daß ihm ein Gedanke käme. Doch es funktionierte nicht. Er hatte fast nie einen wertvollen Gedanken am Nachmittag. Wie das Sprichwort sagte: »Denke am Morgen, handle zu Mittag, iß am Abend, schlafe in der Nacht.«
Jetzt war es zu spät fürs Denken, zu früh fürs Essen.
Er schritt den Weg zur Kirche entlang, die ein gutes Stück von der Weide entfernt war. Wenn ich ein wirklicher Prophet wäre, dachte er, wüßte ich, wie es um mich stünde. Ich
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