Der siebente Sohn
Hilfe.«
Nun stand eine Frau hinter ihm, ein Mädchen, das noch jung genug war, um kein verhärmtes und verwittertes Gesicht zu haben, obgleich sie ernst aussah. Sie trug einen Säugling in den Armen und wandte sich an ihren Mann an.
»Wir haben genug, um heute abend noch einen weiteren Esser zu beköstigen, Brustwehr…«
Die Miene ihres Mannes verhärtete sich. »Meine Frau ist großzügiger als ich, Fremder. Ich werde es Euch geradeheraus sagen. Ihr habt davon gesprochen, ein paar Talente zu besitzen, und nach meiner Erfahrung bedeutet das, daß Ihr möglicherweise behaupten könntet, über geheime Kräfte zu verfügen. Derlei Dinge werde ich in einem christlichen Haus nicht dulden.«
Geschichtentauscher musterte ihn scharf und blickte dann verständnislos zu der Frau. So standen die Dinge also: Sie arbeitete mit Zaubern und Beschwörungen, die sie vor ihrem Mann verbergen konnte, während er jedes Anzeichen davon ablehnte. Wenn ihr Mann jemals die Wahrheit erfahren würde, fragte sich Geschichtentauscher, was würde dann wohl mit der Frau geschehen? Der Mann – Brustwehr – schien zwar nicht von der mordlustigen Art zu sein, doch konnte man nie wissen, welch Gewalttätigkeit durch die Adern eines Mannes strömen mochte, nachdem die Fluten des Zorns erst einmal die Dämme durchbrochen hatten.
»Ich verstehe Eure Vorsicht, Sir«, antwortete Geschichtentauscher.
»Ich weiß, daß Ihr Euren Schutz habt«, sagte Brustwehr. »Ein einsamer Mann, der die ganze Zeit zu Fuß durch die Wildnis schreitet? Die bloße Tatsache, daß Ihr noch immer Euer Haar auf dem Kopf tragt, besagt doch schon, daß Ihr die Roten abgewehrt haben müßt.«
Geschichtentauscher grinste, zog seine Mütze vom Kopf und zeigte seine Glatze. »Ist das eine wirkliche Abwehr, sie mit der gespiegelten Herrlichkeit der Sonne zu blenden?« fragte er. »Für meinen Skalp bekommen sie jedenfalls keinen Lohn.«
»Um die Wahrheit zu sagen«, meinte Brustwehr, »so sind die Roten in dieser Gegend friedlicher als die meisten. Der einäugige Prophet hat sich am anderen Ende des Wobbish eine Stadt gebaut, wo er die Roten lehrt, keinen Schnaps zu trinken.«
»Das ist ein guter Rat für jeden Menschen«, meinte Geschichtentauscher. Und er dachte: ein Roter Mann, der sich selbst Prophet nennt. »Bevor ich wieder von hier fortgehe, muß ich diesen Mann kennenlernen und mit ihm ein paar Worte wechseln.«
»Mit Euch wird er wohl nicht sprechen«, wandte Brustwehr ein. »Es sei denn, Ihr könntet Eure Hautfarbe verändern. Seit er vor ein paar Jahren seine erste Vision hatte, hat er zu keinem Weißen mehr gesprochen.«
»Wird er mich töten, wenn ich es versuchen sollte?«
»Unwahrscheinlich. Er lehrt sein Volk, keine Weißen zu töten.«
»Das ist ebenfalls ein guter Rat«, meinte Geschichtentauscher.
»Gut für die Weißen, aber möglicherweise nicht unbedingt für die Roten. Es gibt Leute wie dieser sogenannte Gouverneur Harrison unten in Carthage City, die den Roten nur Böses wünschen, ob sie friedlich sind oder nicht.«
Brustwehr wirkte immer noch gereizt, doch immerhin sprach er, noch dazu aus ehrlichem Herzen. Geschichtentauscher traute jenen Menschen sehr viel, die ihre Meinung allen mitteilten, sogar Fremden und Feinden. »Jedenfalls«, fuhr Brustwehr fort, »glauben nicht alle Roten an die friedlichen Worte des Propheten. Jene, die Ta-Kumsaw folgen, schüren Unruhe, unten am Hio, und sehr viele Leute ziehen nach Norden ins obere Wobbish-Land. Es wird Euch also nicht an Häusern fehlen, die willens sind, einen Bettler aufzunehmen – auch dafür könnt Ihr den Roten danken.«
»Ich bin kein Bettler, Sir«, antwortete Geschichtentauscher. »Wie ich schon sagte, ich bin bereit zu arbeiten.«
»Zweifellos mit Talenten und verborgener List.«
Die Feindseligkeit des Mannes stand im krassen Widerspruch zur sanften, willkommenden Art seiner Frau. »Was habt Ihr denn für Fertigkeiten, mein Herr?« fragte die Frau. »Eurer Rede nach zu urteilen, seid Ihr ein gebildeter Mann. Ihr seid doch wohl kein Lehrer, oder?«
»Meine Fertigkeit drückt sich bereits in meinem Namen aus«, antwortete er. »Geschichtentauscher. Ich habe das Talent zum Geschichtenerzählen.«
»Sie zu erfinden? Hierzulande nennen wir so etwas Lügen.«
Je mehr die Frau versuchte, sich mit Geschichtentauscher anzufreunden, um so kühler wurde ihr Ehemann.
»Ich habe das Talent, Geschichten zu behalten. Aber ich erzähle nur jene, von denen ich glaube, daß sie wahr sind, Sir.
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