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Der siebte Schrein

Der siebte Schrein

Titel: Der siebte Schrein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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der Verflechtung von Schlingen schwankte, und die Frau, die neben seinem Kopf gestanden und gekichert hatte, während sie ihm leicht mit einem Holzlöffel auf die Nase schlug, so hastig zurückwich, daß ihr der Teller in der anderen Hand aus den Fingern glitt.
    Rolands Hände schossen vor, und sie waren so schnell wie eh und je - seine vergeblichen Versuche, den Käfer zu fangen, waren nur ein Teil seines Traums gewesen. Er fing den Teller, bevor mehr als ein paar Tropfen verschüttet werden konnten. Die Frau - Schwester Coquina - sah ihn mit großen, runden Augen an.
    Die plötzliche Bewegung hatte Schmerzen in seinem ganzen Rücken ausgelöst, aber sie waren längst nicht mehr so schlimm wie zuvor, und er verspürte auch keine Bewegung mehr auf der Haut. Vielleicht schliefen die »Ärzte« nur, aber er hatte den Verdacht, daß sie fort waren.
    Er streckte die Hand nach dem Löffel aus, mit dem Coquina ihn geneckt hatte (ihn überraschte nicht im geringsten, stellte er fest, daß jemand wie sie einen kranken und schlafenden Mann derart necken konnte; es hätte ihn nur überrascht, wenn es Jenna gewesen wäre), und sie gab ihm den Löffel - immer noch mit großen Augen.
    »Wie schnell du bist!« sagte sie. »´s war wie ein Zaubertrick, und dabei warst du noch gar nicht richtig wach!«
    »Vergiß es nie, Sai«, sagte er und kostete die Suppe. Winzige Stücke Hühnerfleisch schwammen darin. Unter anderen Umständen wäre sie ihm wahrscheinlich fad vorgekommen, aber unter diesen schmeckte sie wie Ambrosia. Er schlang sie gierig hinunter.
    »Was meinst du damit?« fragte sie. Das Licht war jetzt sehr gedämpft, die Wandbespannung auf der anderen Seite rosa-orange getönt, was auf Sonnenuntergang schließen ließ. In diesem Licht sah Coquina recht jung und hübsch aus . . . aber Roland war sicher, daß es eine Täuschung war; eine Art von zauberischem Make-up.
    »Ich meine nichts im besonderen.« Roland legte den Löffel weg, weil es zu langsam damit ging, und führte statt dessen den ganzen Teller zum Mund. Auf diese Weise verschlang er die Suppe in vier großen Schlucken. »Ihr seid gütig zu mir gewesen -«
    »Aye, das waren wir!« sagte sie leicht verschnupft.
    »- und ich hoffe, es gibt keine versteckten Motive für eure Güte. Falls doch, Schwester, denken Sie daran, daß ich schnell bin. Und was mich selbst betrifft, ich bin nicht immer gütig gewesen.«
    Sie antwortete nicht, nahm nur den Teller, den Roland ihr reichte. Ganz zaghaft, vielleicht weil sie seine Finger nicht berühren wollte. Ihr Blick fiel auf die Stelle, wo das Medaillon wieder unter seinem Nachthemd verborgen lag. Er sagte nichts mehr, weil er seine Drohung nicht abschwächen wollte, indem er sie daran erinnerte, daß der Mann, der sie ausgesprochen hatte, unbewaffnet war, so gut wie nackt, und in der Luft hing, weil sein Rücken das Gewicht seines Körpers noch nicht tragen konnte.
    »Wo ist Schwester Jenna?« fragte er.
    »Oooo«, sagte Schwester Coquina und zog die Brauen hoch. »Wir mögen sie, nicht wahr? Sie läßt unser Herz . . .« Sie legte die Hand auf die Rose an ihrer Brust und bewegte sie schnell auf und ab.
    »Keineswegs, keineswegs«, sagte Roland, »aber sie war gütig. Ich bezweifle, daß sie mich mit einem Löffel geneckt hätte, wie einige das gerne tun.«
    Schwester Coquinas Lächeln erlosch. Sie sah wütend und besorgt zugleich aus. »Sag nichts davon zu Schwester Mary, wenn sie später vorbeischaut. Ich könnte Ärger bekommen.«
    »Was geht mich das an?«
    »Ich könnte mich an jemand rächen, der mich in Schwierigkeiten bringt, indem ich die kleine Jenna in Schwierigkeiten bringe«, sagte Schwester Coquina. »Sie steht sowieso schon im schwarzen Buch der Großen Schwester. Schwester Mary hat gar nicht gefallen, wie Jenna deinetwegen mit ihr gesprochen hat . . . und noch weniger gefällt ihr, daß Jenna die Dunklen Glocken trug, als sie zu uns zurückgekommen ist.«
    Kaum waren diese Worte aus ihrem Mund, schlug Schwester Coquina eine Hand vor dieses vorlaute Organ, als wäre ihr klar geworden, daß sie zuviel gesagt hatte.
    Roland faszinierte, was sie gerade gesagt hatte, aber er wollte es ihr nicht gerade jetzt zeigen, daher antwortete er nur: »Ich werde nichts über Sie verraten, wenn Sie Schwester Mary nichts über Jenna verraten.«
    Coquina wirkte erleichtert. »Aye, dann sind wir uns einig.« Sie beugte sich verschwörerisch nach vorne. »Sie ist im Haus der Besinnung. Dorthin müssen wir zum Meditieren, wenn die

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