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Der siebte Schrein

Der siebte Schrein

Titel: Der siebte Schrein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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sagte sie . . . aber Roland sah, daß sie kein Wort davon glaubte, und er auch nicht. Er steckte hier in Schwierigkeiten, in großen Schwierigkeiten.
    »Was ist das für ein Haus?«
    »Unser Haus«, sagte sie nur. »Das Heim der Kleinen Schwestern von Eluria. Unser Kloster, wenn du so willst.«
    »Dies ist kein Kloster«, sagte Roland und betrachtete die freien Betten hinter ihr. »Es ist ein Lazarett. Oder nicht?«
    »Ein Hospital«, sagte sie und streichelte weiter seine Finger. »Wir dienen den Ärzten . . . und sie dienen uns.« Roland faszinierte die Haarlocke auf ihrer milchweißen Stirn - er hätte sie gestreichelt, wenn er gewagt hätte, die Hand zu heben. Nur um zu spüren, wie sie sich anfühlte. Er fand sie wunderschön, weil sie das einzige Dunkle in dem ganzen Weiß war. Das Weiß hatte seinen Reiz für ihn verloren. »Wir sind Krankenschwestern . . . oder waren es, bevor die Welt sich weitergedreht hat.«
    »Gehört ihr zu dem Jesusmann?«
    Einen Moment sah sie überrascht aus, fast erschrocken, dann lachte sie herzlich. »Nein, wir doch nicht!«
    »Wenn ihr Krankenschwestern seid . . . Pflegerinnen . . . wo sind die Ärzte?«
    Sie sah ihn an und biß sich auf die Lippe, als müßte sie eine Entscheidung treffen. Roland fand ihre Zweifel über die Maßen bezaubernd und stellte fest, daß er, krank hin oder her, zum erstenmal eine Frau als Frau ansah, seit Susan Delgado gestorben war, und das war lange her. Seitdem hatte sich die ganze Welt verändert, und das nicht zum Besseren.
    »Möchtest du das wirklich wissen?«
    »Ja, natürlich«, sagte er ein wenig überrascht. Und ein wenig beunruhigt. Er erwartete, daß ihr Gesicht flimmern und sich verändern würde wie die Gesichter der anderen. Aber dazu kam es nicht. Und sie hatte auch nicht diesen unangenehmen Geruch nach toter Erde an sich.
    Warte, ermahnte er sich. Traue nichts hier, am allerwenigsten deinen Sinnen. Noch nicht.
    »Ich schätze, du mußt es wissen«, sagte sie seufzend. Dabei läuteten die Glöckchen an ihrer Stirn, die dunkler waren als jene, die die anderen trugen - nicht schwarz, so wie ihr Haar, aber irgendwie verkohlt, als hätten sie im Rauch eines Lagerfeuers gehangen. Ihr Klang freilich war reinstes Silber. »Versprich mir, daß du nicht schreien und den Pube in jenem Bett dort wecken wirst.«
    »Den Pube?«
    »Den Jungen. Versprichst du es?«
    »Aye«, sagte er und verfiel in den halbvergessenen Dialekt des Äußeren Bogens, ohne es zu merken. Susans Dialekt. »Es ist lange her, daß ich zum letztenmal geschrien habe, meine Hübsche.«
    Daraufhin errötete sie eindeutig, natürlichere und lebendigere Rosen als die auf ihrer Brust stiegen in ihre Wangen.
    »Nenne nicht hübsch, was du nicht richtig sehen kannst«, sagte sie.
    »Dann nimm die Haube ab, die du trägst.«
    Ihr Gesicht konnte er deutlich sehen, aber mehr als alles andere wollte er ihr Haar sehen - sehnte sich fast verzweifelt danach. Eine schwarze Flut in all diesem verträumten Weiß. Natürlich konnte es geschoren sein, weil alle in ihrem Orden es so trugen, aber irgendwie glaubte er das nicht.
    »Nein, ´s ist verboten.«
    »Von wem?«
    »Der großen Schwester.«
    »Die sich Mary nennt?«
    »Aye, sie.« Sie wandte sich ab, hielt inne, sah über die Schulter. Bei einem anderen Mädchen ihres Alters, das ebenso hübsch war, hätte dieser Blick frivol gewirkt. Bei diesem Mädchen war er nur ernst.
    »Denk an dein Versprechen.«
    »Aye, kein Schrei.«
    Sie ging mit schwingendem Rock zu dem bärtigen Mann. Im Halbdunkel warf sie nur den Hauch eines Schattens auf die freien Betten, an denen sie vorbeischritt. Als sie den Mann erreichte (der bewußtlos war, dachte Roland, und nicht nur schlief), drehte sie sich noch einmal zu Roland um. Er nickte.
    Schwester Jenna trat auf der anderen Seite des Betts dicht an den hängenden Mann heran, so daß Roland sie durch die Schlingen und Schlaufen aus gewobener weißer Seide sah. Sie legte die Hand behutsam auf die linke Seite seiner Brust, beugte sich über ihn . . . und schüttelte den Kopf von einer Seite auf die andere, als würde sie heftig etwas verneinen. Die Glöckchen an ihrer Stirn läuteten hell, und Roland verspürte erneut seltsame Regungen in seinem Rücken, gefolgt von einer sanften Aufwallung von Schmerz. Es war, als wäre er erschauert, ohne richtig zu erschauern, oder wie in einem Traum.
    Was als nächstes geschah, entlockte ihm fast doch einen Schrei; er mußte die Zähne zusammenbeißen. Wieder schienen sich

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