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Der siebte Schwan - Mer, L: Der siebte Schwan

Der siebte Schwan - Mer, L: Der siebte Schwan

Titel: Der siebte Schwan - Mer, L: Der siebte Schwan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lilach Mer
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war so tief und voll, er trug rundgewaschene Steine mit sich, nassen Sand, Algen und blinkende Fischschuppen und breitete sich über das Land. Kein Fluss. Ein Strom.
    Sie ritten auf die Schlei zu.
    »Gut festhalten«, rief Tausendschön, »jetzt wird es etwas schwierig. Siehst du den dichten Knick da vorne? Dort müssen wir durch.«
    Ein Gewirr aus spießenden Schatten vor ihr, krumme Bäume, wuchernde Büsche, die das blaue Licht wie Scherenschnitte erhellte. Mina grub die Hand in die Mähne
und löste vorsichtig die Fersen von den Pferdeflanken. Das Tier wurde langsamer. Aber nicht sehr.
    Sie kniff die Augen zusammen, als sie in das Dickicht brachen, umklammerte die Spieluhr, duckte sich, so tief es ging. Das Pferd schnaubte und warf den Kopf hin und her. Als ob es versuchte, etwas in dem seltsamen blauen Schein zwischen den Stämmen zu finden. Gab es hier eine Art Weg?
    Mina konnte nichts erkennen, sie schloss die Augen ganz, als Zweige ihr über das Gesicht fuhren. Aber sie wischten rasch vorüber, und irgendwo im Dickicht schien das Pferd tatsächlich einen Pfad gefunden zu haben.
    Blind ließ sie sich tragen. Der Geruch der Schlei füllte ihre Lungen, und selbst hinter den geschlossenen Lidern wurde das blaue Leuchten immer stärker. Seltsame, flackernde Formen zeichnete es ins schwarze Nichts, wie die Sonne, wenn man zu lange hineinsah, aber viel zarter und bewegter. Kleine Geisterlichter, die miteinander tanzten.
    »Mina«, sagte der Kater, »willst du die Nacht auf dem Pferd verbringen? Ich frage nur, mir ist es gleich. Wenn du dann allerdings ein wenig rücken könntest, damit ich abspringen kann …«
    Sie riss die Augen auf, und noch bevor sie etwas erkennen konnte, hörte sie eine zweite Stimme, tief und weich und mächtig wie die Schlei.
    »Willkommen, Mina«, sagte Lilja. »Willkommen daheim.«
     
    Und es war genau das. Daheim. Daheim, obwohl die Tater auf einem Hügel lagerten, direkt an der Schlei, auf dem Mina in ihrem Leben noch nicht gewesen war. Sie standen
im weichen Gras, das Minas Füße kitzelte, als sie steif vom Pferd kletterte; alle waren sie da und kamen auf sie zu, mit ausgestreckten Armen. Pipa drückte ihre Stirn gegen Minas, Zinni schmiegte sich an sie, strahlend, eingehüllt in Minas alten blauen Kindermantel. Nad legte ihr eine schwere Hand auf die Schulter und lächelte auf sie herunter. Von hinten umschlangen sie Liljas Arme, und mit einem tiefen, tonlosen Seufzen ließ Mina sich hineinsinken in ihre Wärme.
    Rosa und Viorel standen abseits. Sie hielten sich nicht an den Händen, ihre Körper berührten sich nicht. Aber sie standen dicht beisammen, so dicht, dass ihre Schatten sich zu einem vermischten. Erst als Rosa zögernd auf sie zukam, lösten sie sich voneinander.
    »Mina …«
    Das Blütengesicht sah sie an, so schön und so hilflos. Rosa schlang die Finger umeinander, drehte und presste sie.
    »Mina, es tut mir so leid. Ich wusste doch nicht, dass du nicht mehr hinter mir warst, und dann kam ich nicht mehr aus dem Wald heraus. Ich wollte dich nicht alleinlassen, bitte glaub mir das. Bitte. Es tut mir so leid. Alles …«
    Sie warf einen Blick zu Viorel, und Mina verstand, was sie meinte. Er war reglos stehen geblieben, ein hochgewachsener, schlanker Umriss im blauen Licht. Er schien vor sich her auf das Gras zu starren.
    Mina schüttelte den Kopf, aber Rosa missverstand die Geste und fing an, leise zu schluchzen.
    »Ich … ich schicke ihn fort, wenn du es willst, Mina. Ich weiß, was geschehen ist; alles. Er ist ein Verräter, und es ist furchtbar, was er getan hat. Du bist so jung, und es sollte nicht so sein, wie es war. Der erste Kuss, den man empfängt
- er sollte alles sein, aber niemals eine Lüge. Ich schicke ihn weg, Mina. Ich schicke ihn weg.«
    Mina löste sich aus Liljas Umarmung, schob Pipa und Zinni sanft beiseite. Bückte sich und stellte die Spieluhr sorgsam im Gras ab; streckte eine Hand aus, um kurz über Rosas krampfende Finger zu streicheln. Die andere hielt sie dorthin, wo Viorel regungslos stand. Das Blut stieg ihr ins Gesicht, so dumm und täppisch kam sie sich dabei vor. Aber niemand lachte.
    Viorels Finger glühten, als sie sich zwischen ihre schoben. Sie fühlte das Prickeln, das Zittern in sich, das sie so gut kannte. Aber es war schwach, wie aus der Ferne. Als wäre der Platz, an den es gehörte, von etwas anderem fast ganz gefüllt; einem anderen Gefühl - das zu jemand anderem gehörte.
    »Es war schrecklich von mir«, murmelte Viorel mit

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