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Der siebte Schwan - Mer, L: Der siebte Schwan

Der siebte Schwan - Mer, L: Der siebte Schwan

Titel: Der siebte Schwan - Mer, L: Der siebte Schwan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lilach Mer
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in Bewegung setzte. Woran kennen sie ihn, die Hunde? Ein Geruch, eine Stimme. Und - die Gedanken stockten, ruckten - und ein Funkeln hoch in der Luft, über ihren Köpfen … die Brillengläser.

    Vielleicht war es wirklich das, was er Wahn nannte; das, was sie jetzt dazu brachte, das Bündel abzustreifen und die Spieluhr herauszuholen, ohne dass sie selbst wusste, warum. Beide Hände schloss sie fest darum, während er sie ansah, eine Braue bis über den Rand der Brille emporgezogen, und lächelte, lächelte.
    Einen Augenblick hielt sie sie nur. Das Holz war warm auf ihrer Haut. Dann riss sie sie nach oben, so hoch sie konnte. Einer der Hunde japste auf.
    »Nun«, sagte der Doktor hinter ihr, »was wird dies? Neue Zauberspielchen?«
    Seine Stimme ließ ihre Arme zittern. Aber sie hielt die Spieluhr fest.
    Das fahle Licht berührte die Kristallzacken. So matt war es, so schwach … Nicht die blendende Mittagssonne über einem Rapsfeld. Nur ein lebloser Dämmerschein, bevor die schwarze Nacht heraufzog. Es reichte nicht aus. Sie fühlte es.
    Die Hunde knurrten wieder, und einer setzte an, sich in ihre Richtung zu bewegen. Wild schüttelte Mina die Spieluhr, streckte sich auf die Zehenspitzen, jagte nach dem Licht. Versuchte, es einzufangen, damit die Splitter glänzten und gleißten. Wie die Brillengläser, die auf sie gerichtet waren.
    Es klirrte in dem kleinen hölzernen Kasten.
    Der Hund hielt inne, und die anderen reckten die Köpfe.
    »Aber, mein Kind, was willst du denn nur mit dem Spielzeug?«
    Sie versuchte mit aller Gewalt, die belustigte Stimme auszublenden, schüttelte die Spieluhr wieder und wieder. Die Ohren der Hunde stellten sich auf.

    Mit fliegenden Fingern tastete Mina nach der kleinen Kurbel, die den Mechanismus bediente. Fasste sie, rutschte ab. Sie hatte nicht gewusst, dass ihr ganzer Körper längst nass war von kaltem Schweiß. Wieder tastete sie, fasste zu. Drehte das Metall behutsam. Eine Windung, und noch eine. So lange, bis der Mechanismus sich sperrte. Dann ließ sie die Kurbel los.
    Die zarten Töne fielen auf das Gras, einer nach dem anderen, wie Regentropfen.
    Minas Füße zitterten so sehr, dass sie die Zehen in die Erde graben musste, um nicht hinzufallen. Unendlich mühsam war es, sie wieder zu lösen, einen Fuß nach vorn zu schieben, dann den zweiten, auf die Hunde zu. Das schwarze Fell der Tiere glänzte. Ihre Mäuler standen offen, die roten Zungen über den grellweißen Zähnen …
    Mina ging auf die Hunde zu. Sie betrachteten die Spieluhr, die Köpfe schräg gestellt. Der Erste, der rechte, ließ sie passieren, folgte dem glitzernden, klingenden Kasten nur mit dem Blick.
    Die Töne rannen über ihre Haut, klar und kühl. Ein Streicheln in der Stille ihrer Einsamkeit. Auf ihrem feinen, zirpenden Klang trugen sie so vieles mit sich … Mina fühlte das Schluchzen in sich. Es kämpfte, drehte ihr den Magen um. Stieg auf und schnürte ihr die Kehle zu. Fiel und zerfloss und vermischte sich lautlos mit den Tönen, füllte sie an und klang mit ihnen gegen den schweigenden Himmel, in einer einzigen, wortlosen, hundertfach wiederholten Bitte. Hört mich, flehte die Spieluhr. Hört mich. Ich weiß, ich bin von euch fortgegangen. Ich weiß, ich war dumm. Aber helft mir, helft mir jetzt, bitte. Lasst mich nicht allein. Wenn ihr mich hört …

    Sie hatte das gläserne Schwanenhaus schon beinahe passiert, vorbei an den Bänken voll regloser Statuen aus Furcht, als der Doktor pfiff und das Geräusch die Melodie der Spieluhr in Stücke schnitt.
    »Genug mit dem Theater, Wilhelmina! Denkst du, du kannst mich zum Narren halten?«
    In einem Wimpernschlag war sie umringt von schwarzem Fell, von blitzenden Zähnen und dumpfem Grollen, und sie musste die Spieluhr sinken lassen, so sehr bebten ihre Arme. Der Mechanismus spielte noch ein, zwei zirpende Töne. Dann verstummte er.
    Nichts geschah.
    Minas Knie wurden weich.
    Die Brillengläser spiegelten sie wider, kalt und genau. Eine Vogelscheuche, von knurrenden Hunden umdrängt. Eine Vogelscheuche, die vielleicht einmal ein Mädchen gewesen war.
    »Genug! Du musst endlich Vernunft annehmen - so weit dir das möglich ist. Sieh doch nur, was aus dir geworden ist! Man sollte dich einfach …«
    Die Stimme des Doktors brach ab. Ein Zischen und Fauchen fegte durch die Luft; waren es die Schwäne in ihrem gläsernen Käfig? Aber da war noch etwas anderes. Etwas wie …
    Der Hufschlag donnerte unsichtbar heran, über die Wiesen, wie Hämmer tief in der

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