Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der siebte Schwan - Mer, L: Der siebte Schwan

Der siebte Schwan - Mer, L: Der siebte Schwan

Titel: Der siebte Schwan - Mer, L: Der siebte Schwan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lilach Mer
Vom Netzwerk:
in ihr Kleid.
    Dann saß niemand mehr hinter ihr.
    »Mina«, schrie der Kater gegen den Wind, als das Pferd langsamer wurde, »du musst es antreiben, hörst du? Antreiben! Wir sind noch viel zu nah!«
    Antreiben?, dachte Mina. Aber ich habe doch noch nie … Ich weiß nicht, wie man …
    Die Erkenntnis schlug ihr eine Faust in den Magen, mitten
in den Nachhall von Bitterkeit und Schmerz; und mitten in die Wehmut, die Karol hinterlassen hatte. Sie saß auf einem wilden Pferd, das über die Wiesen raste. Sie, ganz allein.
    Tausendschön schien ihre Gedanken zu hören.
    »Mit den Hacken macht man das. Komm schon, es ist ganz leicht. Ich würde es ja selbst tun, aber …« Er sah kurz zu ihr hoch, und sie hätte schwören können, dass es ein Grinsen war, was seine Zähne so aufblitzen ließ. »Aber du siehst vielleicht, meine Beine sind nicht ganz lang genug. Also musst du es wohl tun. Und hurtig, wenn ich bitten darf!«
    Gehorsam drückte Mina die Fersen gegen die warmen Flanken des Pferdes. Nur zaghaft, aber es machte einen Satz nach vorn, als habe es nur darauf gewartet, dass es weiterging.
    Meine Güte, dachte Mina und klammerte sich in die Mähne, während Tausendschön laut seine Zustimmung miaute und auf und ab gerissen wurde wie ein seltsamer Ball aus Fell. Meine Güte. Ich reite. Ich reite wirklich.
    Meine Güte.
     
    Die Nacht ließ sich aus den Wolken herab, und bald ritten sie in der Dunkelheit. Das Pferd wurde nicht langsamer. Ab und an spürte Mina, wie es leicht nach rechts oder nach links zog; als ob auch ihm der Luftzug etwas in die spitzen Ohren flüsterte, das es auf dem richtigen Weg hielt.
    Das wütende Hundegebell war schon lange hinter ihnen verklungen, und noch immer ritten sie. Langsam wurden Minas Beine taub. Ihre verkrampften Finger schmerzten, und allmählich fragte sie sich, wie lange sie sich noch würde
halten können. Je mehr die hämmernde Aufregung in ihr nachließ, desto erschöpfter fühlte sie sich. Und die Bilder aus der Nervenanstalt spukten hinter ihrer Stirn.
    Weiße Hemden … graue Gesichter. Spiegelndes Glas und schwarze Hunde. Schwarze Flecken auf leuchtenden Schwanenflügeln, schwarze Flecken wie Blätter geformt … Blätter … der Holunder …
    Sie schrak zusammen, als ihr das Bündel einfiel. Es musste immer noch dort oben in den Zweigen hängen. Wenn der Doktor es nicht gefunden hatte. Die Spieluhr hatte sie zwar gerettet; der goldene Schlüssel war für sie immer nur ein unnützes, bitteres Ding gewesen, und sie brauchte den Selam eigentlich nicht mehr. Trotzdem kratzte die Vorstellung an ihr, dass der Doktor mit seinen weichen Händen in den Seiten blätterte. Es war ihr Buch gewesen. Ihres allein.
    Aber es war nicht zu ändern. Das rote Pferd, das die Nacht schwarz anmalte, trug sie immer weiter fort, und selbst wenn sie gewusst hätte, wie man es zum Umkehren brachte - sie hätte es nicht getan. Nicht einmal für ihr Bündel.
    Nicht in dieser Nacht.
    Irgendwann musste sie eingeschlafen sein. Tausendschöns Stimme riss sie aus wirren, dunklen Gedanken, und sie merkte, dass die weichen Mähnenhaare nur noch gefährlich lose zwischen ihren Fingern lagen.
    »Nicht dösen, Mina. Wir sind bald da. Du willst doch nicht kurz vor dem Ziel noch herunterfallen?«
    Sie blinzelte.
    Etwas hatte sich verändert. Noch immer dröhnten die Hufe unter ihr, noch immer riss der Wind an ihren Haaren. Aber die Nacht war nicht mehr ganz so dunkel, und ein
schwacher, bläulicher Schein spiegelte sich in Tausendschöns Augen.
    Mina richtete sich vorsichtig auf, versuchte, etwas zu erkennen. Sanfte Hügel schienen um sie her zu liegen, Weiden; hier und dort sah sie schwärzere Schatten in kleinen Gruppen beieinanderstehen, aus denen es manchmal schlaftrunken muhte. Da war auch etwas in der Luft, ein neuer, eigenartiger Geruch, der nicht zum Gras gehörte, zu den Kühen oder zum Pferd. Vertraut und gleichzeitig wie etwas ganz Neues.
    »Wir kommen gleich«, maunzte Tausendschön, »zum Finsteren Stern, Mina. Die Tater warten dort auf uns. Es ist nicht mehr weit.«
    Mina nickte, hörte kaum zu. Der Geruch wurde stärker und stärker und mit ihm das bläuliche Licht. Es schien von vorne zu kommen, als ritten sie auf seine Quelle zu.
    Sie atmete tief ein, und dann wusste sie, was es war, das sie roch: Wasser. Ein Fluss. Nein, kein Fluss; es musste etwas viel Größeres sein. Viel größer als das Bächlein beim Taterlock; viel größer als der Mondfluss, der sie zum Pug geleitet hatte. Der Geruch

Weitere Kostenlose Bücher