Der siebte Schwan - Mer, L: Der siebte Schwan
und schließlich schwerfällig beiseitehüpfte. Sie ließen ihre Bündel ins Moos fallen, tranken aus der hohlen Hand und streckten die Beine aus. Das war alles.
Niemand zündete ein Feuer an; Mina hatte das deutliche Gefühl, dass dies kein Ort für offenes Feuer war. Aber nichts regte sich knarrend und knurrend, als Lilja eine kleine Blechlaterne aus einem der Bündel zum Vorschein brachte und sie sorgfältig mit einem Schwefelhölzchen ansteckte. Mattes, gelbes Licht färbte das Moos, ließ die zarten Stängel darauf wie Goldfäden glänzen. Nad verteilte Brotscheiben und kleine, süße Zwiebeln. Mina knabberte daran, aber mehr, weil ihr der Geschmack gefiel, als weil sie Hunger hatte.
Behaglich war es im Moos. Die dicken Stämme schützten sie vor dem Wind, der langsam kälter wurde, und obwohl der dunkle Himmel überall zwischen den Blättern hindurchsah und nicht einmal eine Plane aufgespannt wurde, fühlte sie sich geborgen wie in einem warmen Zimmer.
Ganz in ihrer Nähe saßen Rosa und Viorel dicht zusammen, die Stirnen aneinandergelehnt. Minas Blick erschreckte
sich, als er sie zufällig streifte; wieder fühlte sie das Blut heiß in ihr Gesicht steigen. Aber sie konnte es doch nicht lassen, zwischen tief gesenkten Wimpern immer wieder hinüberzusehen.
Wie vertraut sie waren. Wie sorglos Rosa ihre kleine schmale Hand auf seine legte, auf die langen, schnellen Finger, die sich so unerwartet bewegen konnten. Wie es in seinen schwarzen Augen funkelte, wenn er sie von unten her ansah, und Rosa lächelte nur sanft und zufrieden, wenn sie es bemerkte. Keine Spur von Verwirrung, kein Hauch von Furcht. Keine Fremdheit zwischen ihnen. Sie saßen nebeneinander, aber unter Minas neugierigem, verschämtem Blick fühlten sie sich an, als wären sie miteinander verwachsen wie die verwobenen Bäume auf dem Weg.
Sie musste sich zur Ordnung rufen, damit sie die beiden nicht anstarrte. Sie ließ ihren Blick schweifen, über dunkle Stämme und schattengeflecktes Moos. Da saß Pipa, die Arme um die Knie gelegt. Eines der Schleifenbänder hatte sie sich aus den Haaren gezogen. Sie wand es um ihren Zeigefinger, wieder und wieder. Zog es fest und betrachtete die Fingerspitze, wie sie anschwoll und rot wurde. Ließ es sich ringeln und zog wieder zu. Wenn ihr Blick hinter ihren Knien auftauchte und zu Rosa hinschnellte, glitzerte er scharf wie Scherben im Fluss. Es war ein seltsamer Blick, fand Mina, um ihn auf seine Schwester zu richten. Oder war es in Wirklichkeit Viorel, den sie ansah?
Lilja setzte sich zu ihr, ihr weiter Rock breitete sich wie eine Decke über Minas Beinen aus.
»Gefällt es dir im Wald?«
Mina nickte heftig. Wie konnte es einen Menschen auf der Welt geben, dem dies alles nicht gefiel?
Lilja strich ihr sanft über den Handrücken.
»Es ist wirklich so, du hast es gut gemacht. Sehr gut sogar. Als ich ein junges Mädchen war wie du, habe ich mich so dumm dabei angestellt, dass mir schwindlig wurde von dem andauernden Hin und Her.«
Sie lächelte, und Mina kicherte. Lilja sah sie an.
»Das macht es etwas leichter, nicht wahr? Leichter zu ertragen?«
Mina hob die Schultern. Wie sollte sie antworten? Es gab kein Ja oder Nein auf eine solche Frage. Sie legte die Stirn in Falten, aber Falten taugten nicht als Antwort, ersetzten keine Worte. Sie seufzte tonlos.
»Gerade jetzt«, sagte Lilja, als wäre nichts geschehen, »versuche ich mir vorzustellen, wie es wohl ist, wenn du dich zu Hause in dein Bett legst. Ich denke mir, du stellst die Schuhe ordentlich nebeneinander auf und faltest deine Kleider zusammen; vielleicht gibt es auch ein Hausmädchen, das das für dich tut. Bestimmt hast du ein schweres, warmes Federbett, unter dem du dich einrollst wie ein kleiner Hund.«
Mina nickte.
»Und dann«, sagte Lilja und lachte leise, »wenn im Haus alles still geworden ist, dann zündest du die kleine Kerze an, die du neben dem Bett versteckt hast, und holst das Buch heraus, das du dir heimlich in der Bibliothek geliehen hast. Und liest so lange, bis dir von selbst die Augen zufallen und du von seltsamen und wunderbaren Orten träumst.«
Mina erwiderte das Lachen. Es war wahr, in manchen Nächten las sie, dass sie am Morgen verquollene Augen hatte. Wie fremd und weit entfernt es sich anfühlte, daran zu denken.
Lilja strich ihr wieder über die Hand, eine Berührung, noch leichter als Federn.
»Nun«, sagte sie und erhob sich wieder, »etwas zu lesen hast du ja in deinem Bündel, nicht wahr? Schlaf gut,
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