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Der siebte Schwan - Mer, L: Der siebte Schwan

Der siebte Schwan - Mer, L: Der siebte Schwan

Titel: Der siebte Schwan - Mer, L: Der siebte Schwan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lilach Mer
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noch immer nicht losgelassen: Wie kam man wieder zurück?
    Es gab keine Gesten für solche Fragen, kein Mienenspiel, das sie ohne Worte erklärte. Sie konnte nur die Brauen hochziehen, wie sie es bei Zinni getan hatte, und hoffen, dass sie verstanden.

    Nad erwiderte ihren Blick, hell, ernst, und nickte langsam.
    »Ja, es geht hin und auch zurück«, sagte er, und sie blinzelte erleichtert. »Es ist einfacher, wenn man so jung und lebendig ist wie du. Und schwerer, wenn man so lange eingesperrt war wie du. Man muss die Augen schließen, wie du es getan hast. Sie hängen zu sehr an dem, was sie sehen, können nicht loslassen, wenn man ihnen nicht dabei hilft. Man schließt die Augen und lauscht auf das, was unter den Geräuschen ist - darunter und dahinter. Der Atem des Landes geht sehr ruhig, sehr langsam. Oft muss man sich konzentrieren, um ihn in all dem Lärm zu finden. Es kann ein Rauschen sein, oder ein Flüstern. Ein Hauch, der einen von ferne streift. Wenn man ihn findet, dann … geht man los. Nichts mehr als das. Wie du losgegangen bist, auf die Blume zu. Einen Schritt vor. Oder einen Schritt zurück. Das ist alles.«
    Er betrachtete sie.
    »Möchtest du jetzt versuchen, zurückzugehen?«
    Mina blickte zu dem Pfad aus roten Blumen.
    Sie atmete aus und ein, ganz langsam. Bis sie das Glücksgefühl spüren konnte, das sich in ihr verborgen gehalten hatte, unter der Angst, der Unsicherheit und dem Zweifel. Was auch immer es war, das sie getan hatte, es war ihr gelungen. Sie hatte nach dem Wald gerufen, dem Wunderwald, irgendwie hatte sie nach ihm gerufen; und er war gekommen und hatte seine Zweige über ihr ausgebreitet. Er umhüllte sie von allen Seiten. Und die Blume … sie hatte sie nicht verraten.
    Der Preis, den sie gezahlt hatte, war furchtbar hoch gewesen. Aber vielleicht nicht zu hoch.

    Sie schüttelte den Kopf, so bestimmt, wie es ihr gelingen wollte. Nad nickte, als habe er gar nichts anderes erwartet.
    »Dann gehen wir.«
     
    Die Bäume rauschten und flüsterten. Mina folgte Nad und Lilja, Rosa und Viorel, die sich eingehakt hatten wie auf einem vergnüglichen Spaziergang; Pipa mit Zinni an der Hand. Die roten Blumen leuchteten auf dem Moos. Mina drehte sich um, und der Pfad erstreckte sich hinter ihr bis zurück zum Bach.
    Und dort stand er.
    Seine Gestalt war so ruhig, dass es scheinen mochte, als wandelte er nur in einem Traum. Als wäre er immer noch nicht erwacht, und seine Füße hätten ihn von selbst von seinem Lager am Bach in den Wald getragen. Aber die dunklen Stämme schimmerten nicht durch seinen Körper, und die Blätter glänzten nicht durch seine schwarzen Haare. Und Mina konnte seine Augen sehen. Sie waren weit offen und so grau wie die Rinde am Stamm einer Weide. Er sah sie an. Karol sah sie an.
    Zögernd hob Mina die Hand. Es war kaum wirklich ein Winken; nur eine kleine, verhuschte Bewegung. Was mochte sie bedeuten? Sie hätte es nicht sagen können, selbst wenn ihr Mund nicht leer und stumm gewesen wäre.
    Aber er verstand es. Sie spürte es so klar, als wenn er ihr Winken erwidert hätte. Und als sie sich langsam wieder umdrehte, wusste sie, dass er ihnen folgen würde.
     
    Der Alte Wald umgab sie mit seinen Geräuschen und Gerüchen. Die meiste Zeit über lief Mina den anderen hinterher, viel zu verzaubert, um selbst auf den Weg zu achten,
den die Blumen ihnen zeigten. Alle paar Schritte lockte ein neuer Duft, bot sich ein neuer Blick. Bäume schlangen sich aneinander in die Höhe wie junge Liebespaare, legten die schweren Äste gebückt auf dem Boden ab wie müde Greise. Jede Rinde hatte ihre eigene Farbe, ihr eigenes Muster. In jeder Krone spielte das Licht auf eigene Weise. Manche Blätter waren so fein und zart, dass sie durchsichtig wirkten wie klares grünes Teichwasser. Andere waren dunkel und fest, fühlten sich teigig an, wenn man sie behutsam in die Hand nahm. Sie rochen nach Frühling und nach Sommer; unter Minas Schritten knisterte in abgebrochenen Zweigen der Herbst, und irgendwo in dem Geruch, den die Stämme selbst verströmten, lag verborgen die scharfe Andeutung des Winters.
    Kleine Vögel zirpten in den Zweigen, Farbflecken, die zwischen all dem Grün aufschillerten und wieder verschwanden, ein buntes Muster ganz eigener Art. Am Anfang ging Mina sehr vorsichtig, um sie nicht zu erschrecken. Aber entweder machten ihre Stiefel auf dem modernden Laub und dem Moos, das den Großteil des Bodens bedeckte, kaum ein Geräusch, oder die Vögel störten sich nicht

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