Der siebte Schwan - Mer, L: Der siebte Schwan
Runde nur; dann ist Schluss, dann ist ganz bestimmt Schluss, die Bodendielen knarren so laut, man wird die Schritte hören, unten im Schlafzimmer, wo niemand ist, niemand, nur der Staub, der von der Decke rieselt, wenn die Stiefelabsätze auf das alte Holz stampfen.
Einszweidrei, einszweidrei, links herum, und wiegen und drehen; drehen, wie der Silberstreif, die Tänzerin dort hinten, wie schön ihr die langen Haare um den Kopf fliegen, keine harten Zöpfe, kein steifes Schleifenband. Und sie kommt näher, mit jedem winzigen, flinken Schritt, immer näher heran. Bald ist sie so nah, dass man ihr Gesicht sehen kann, die fest geschlossenen Augen, den träumenden, lächelnden Mund. Unter dem schwingenden Kleid sind ihre Schuhe schon so durchgetanzt, dass sie Flecken von Schweiß auf dem glänzenden Fußboden zurücklassen. Sie streckt im Drehen beide Hände aus, ohne einmal aufzublicken; wenn man sie ergreift, sind sie kalt und nass, aber sie halten die eigenen Finger fest, so fest, und der erste Schwung ist so machtvoll und unwiderstehlich wie die Wogen des Meeres. Tanz, tanz, kleine Mina …
Tanz, kleines Mädchen, tanz mit mir . Die wehenden Kerzenflämmchen flogen vorbei, und langes Haar wehte über Minas Gesicht. Ihr Mund stand offen, und trotzdem schien nicht ein bisschen Atem mehr in ihren Lungen zu sein. Bleiche Wangen schimmerten dicht vor ihr, rotdunkle Lippen, die sich nicht öffneten und doch Worte zu ihr hin hauchten.
Tanz, tanz nur, mein Mädchen, was kümmert uns der Morgen …
Sie hatte nicht gewusst, dass ihre Füße sich so schnell bewegen konnten. Die Hände, die sie hielten, zogen sie herum, wieder und wieder, Runde um Runde, und ihre Zehen berührten kaum den Boden. Mit jeder Drehung wurde sie leichter. Das steife, regenfeuchte Kleid streifte kaum noch ihren Körper. Sie fühlte, wie ihr die Zopfbänder aus den Haaren rutschten, spürte die Strähnen sich lösen, eine nach der anderen, bis das Ziehen an ihrer Kopfhaut nachließ, das ständige, sachte Reißen, das sie erst jetzt wirklich fühlte, wo es mit einem Mal verschwand. Und sie flog, sie flog immer noch, immer weiter, durch die kerzenstrahlende Halle, durch die hellen und dunklen Streifen, und die riesigen, sprossendurchwirkten Fensterscheiben fingen auch ihr Spiegelbild ein und gaben es hundertfach zurück.
Das war kein Tanz. Das war Glück, so voll von Süße, dass es kaum zu ertragen war. Minas Mundwinkel bogen sich, sie spürte das Lächeln sich über ihr Gesicht ergießen, während das heiße, glückliche Gefühl durch ihren Körper strömte. Sie öffnete den Mund noch weiter, aber kein Laut kam heraus, den die brausenden Violinen hätten hinwegspülen können. Das Lachen glühte in ihrer Brust wie eine Kugel aus goldenem Feuer.
Die Tänzerin hielt sie bei den Händen, drehte sich mit ihr durch die ganze Länge des Saals. Ihre Haare vermischten sich miteinander wie Schatten und Licht, als es schneller ging, immer noch schneller, auch wenn es nicht möglich war, dass Minas Füße sich so rasend hoben und senkten. Dann löste sich eine der Hände plötzlich, ohne dass sie an Geschwindigkeit verloren; ohne dass Mina aus dem Gleichgewicht
geriet. Sie konnte sehen, dass die Tänzerin jetzt den rechten Arm von ihr entfernt hielt, ins flirrende Halbdunkel hinein, und trotzdem fühlte es sich so an, als wäre ihr Griff immer noch da, vielleicht sogar noch fester als zuvor. Rauer auch, dachte Mina verschwommen, während sie weiterwirbelten, rauer, kräftiger und nicht mehr so kalt. Nein, gar nicht mehr kalt. Warm, beinah heiß fühlten sie sich jetzt an, die Finger, die ihre umschlossen, obwohl sie nicht da waren, obwohl sie sie doch sehen konnte, die eine freie Hand der Tänzerin, zierlich in den Raum gestreckt - fast so, als läge sie elegant in einer anderen, unsichtbaren Hand … Und etwas - etwas leuchtete in den Schatten vor Minas Gesicht. Etwas Helles, das ebenfalls Wärme verströmte.
Waren sie noch zu zweit in diesem Tanz?
Die Violinen gaben keine Ruhe. Ohne Pause flossen die Töne hinüber in ein neues Stück, das Einszweidrei, Einszweidrei wurde so schnell, dass Mina den Takt nicht einmal mehr hätte mitzählen können, wenn sie sich noch an Zahlen erinnert hätte oder an Worte, an irgendetwas anderes als die Musik. Ein seltsames Klirren begleitete den Takt, etwas Hartes, das auf den Steinboden schlug, in jeder Drehung einmal, aber unter den rauschenden Stoffbahnen konnte sie nicht sehen, was es war. Es kam ihr nur so vor, als
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