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Der siebte Schwan - Mer, L: Der siebte Schwan

Der siebte Schwan - Mer, L: Der siebte Schwan

Titel: Der siebte Schwan - Mer, L: Der siebte Schwan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lilach Mer
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wären da mehr Füße, als es sein sollten, und das bleiche Gesicht der Tänzerin war so merkwürdig weit entfernt, als habe sich ihr Tanzkreis um eine Person erweitert, die sich zwischen ihnen drehte und sie beide an den Händen hielt.
    Tanz, kleines Mädchen. Tanz.
    Und Minas Füße gehorchten.
    Sie gehorchten auch dann noch, als die Sohlen längst
wie Feuer brannten und Minas Knie zitterten. Sie spürte es, aber das Gefühl war so vage und verschwommen, ein Schatten nur hinter den Rändern der strahlenden Kugel aus Glück. Melodien stiegen um sie herum auf und vergingen wieder, ohne dass der Takt sich veränderte. Das Einszweidrei führte sie fester und sicherer, als jede Hand es vermochte. Und doch war es gut, sie zu spüren, die warmen und die kalten Finger, zu wissen, dass sie nicht allein war in diesem Taumel, diesem Rasen. Hatte sie sich gefürchtet vor der blassen Gestalt, die mit ihr gemeinsam durch die Strophen flog? Wie dumm, wie kindlich!
    Aber sie war kein Kind mehr. Kein Kind, das zu Bett geschickt wurde, bevor der Tanz begann, das nicht mehr bekam als ein einziges langsames Lied - grausam lockend wie eine Zuckerstange, die im Glasschrank verschlossen blieb -, während man es die Treppe hinaufzerrte. Sie war hier, in diesem flimmernden Saal aus Schatten und Licht, und sie war es, die sich drehte, wenn alle anderen schon erschöpft auf ihren Stühlen zusammengesunken waren und ihren Schritten nur noch mit den Augen folgen konnten. Beinahe meinte sie, sie sehen zu können, die schattenhaften Gestalten am Rand des Tanzsaals, so wirklich fühlte es sich an. Und ein Tuscheln schien sich unter das Brausen der Musik zu mischen, schwach und klar, nah und entfernt zugleich. Wie die Stimmen, die sie auf dem Weg begleitet hatten …
    Die Musik trug Mina auf mächtigen Schwingen. Mochte sich auch ihr Schuhband lösen, wie es das jetzt tat, sie brauchte nicht einmal deswegen anzuhalten. Sie konnte sich im Tanzen herunterbeugen, sicher gehalten von einem warmen, stählernen Arm, der in ihrem Rücken lag. Konnte
die eine Hand lösen, den fliegenden Rocksaum mit zwei Fingern anheben, genug, um das lose Band zu sehen, genug, um ein empörtes Zischen in den Schatten am Rande des Saals zu verursachen. Konnte den Rücken noch etwas mehr krümmen, den Kopf noch etwas weiter drehen, das Schnürband flatterte in den Böen, die der Tanz über den Steinboden fegen ließ, und jetzt, jetzt konnte sie es greifen und …
    Dunkle Flecken. Dunkle Flecken auf den hellen Platten unter ihren Füßen. Dutzende davon. Schimmernd. Feucht. Wo hatte sie sie schon einmal gesehen? Zerfranst die Ränder, zerrieben von den Schuhspitzen. So viele dunkle Flecken.
    Der stählerne Arm bog ihren Rücken wieder nach oben. Sie ließ das Schuhband flattern, die Musik zog sie weiter, aber jetzt sah sie die Flecken überall auf dem Boden. Sie berührten etwas kalt in ihr. Mina runzelte die Stirn, und im gleichen Augenblick wurde sie noch fester gepackt.
    Zum ersten Mal versuchte sie, etwas zu erkennen. Da war die Tänzerin, ganz nah, aber doch nicht so dicht bei ihr, dass sie sich berührt hätten; da war ihr schwarzes Haar, das durch die Luft wehte. Die Strähnen schienen etwas zu streifen, eine Form aus Nichts, aus Dunkelheit, um die sie sich immer wieder einen Atemzug lang legten, als wollten sie sie liebkosen, um dann abzugleiten. Ein Kopf … ein Paar breite Schultern … Ja, sie konnte es sehen, wenn sie die Augen zusammenkniff. Und sie erschauerte, als der Arm in ihrem Rücken sie näher an die schemenhafte Form heranzog. Erschauerte, obwohl es Hitze war, die sie plötzlich aus dem Nichts traf, ihren ganzen Körper, bis hinunter zu den tauben Füßen.

    Tanz mit mir, kleine Mina. Die Nacht ist ewig jung, und einen Morgen gibt es nur in Geschichten.
    Es kannte ihren Namen.
    Das Tuscheln um sie her wurde lauter. Die Schatten gewannen an Wirklichkeit. Ein Schwung dicht am Rand vorbei, in dem sie meinte, ein altes, missgünstiges Gesicht zu erkennen; ein anderer, der sie an scharfen, neidischen Mädchenaugen vorbeitrug. Ihr Name, von unsichtbaren Lippen gewispert, schien immer noch in der Luft zu schweben; aber war es wirklich Mina , was sie hörte?
    Das Tuscheln war so grell, so grausam. Von den alten Matronen dort drüben kam es, mit ihren schweren Hauben und noch schwereren Beinen, die die Füße nicht einmal mehr für eine Hochzeit in die Höhe bekamen. Von den dürren, reizlosen Mädchen mit dem verkniffenen Zug um die schmalen Lippen, die an der

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