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Der siebte Schwan - Mer, L: Der siebte Schwan

Der siebte Schwan - Mer, L: Der siebte Schwan

Titel: Der siebte Schwan - Mer, L: Der siebte Schwan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lilach Mer
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Schicht aus Watte schien sich auf ihre Ohren zu legen, und da war auch noch etwas anderes, tiefer darunter. Töne vielleicht, die sich mit der kleinen, unhörbaren Melodie vermischten. Sie hatte gar nicht bemerkt, dass sie sie immer noch lautlos vor sich hin summte. Mina blieb stehen und lauschte. Ja, Töne waren es, wie von Violinen, die in der Ferne spielen. Schnelle Läufe, die ineinanderflossen; wie bei einem großen Gartenfest, wenn die riesigen Bowlengläser, von denen Mademoiselle mit verschämtem Augenleuchten erzählte, schon halbleer getrunken waren. Wenn die Herren und die Damen sich flinker drehten und die schweren Röcke höher flogen, als es die Schicklichkeit eigentlich erlaubte. Wenn Kronleuchterkerzen ihre Flämmchen auf Edelsteinen spiegelten und bunte Lichter durch den Saal flogen. Sommernachtsviolett. Traumblau …
    Und goldgelb. Wie das kleine Etwas dort, im Schatten der Bäume. Es leuchtete und glänzte. Mina hielt den Atem an, auch wenn ihr davon noch schwindeliger wurde. Geh nur, Menschenmädchen, und finde deinen Schatz …

    Ein Schatten zog über das Glänzen, tiefschwarz und sehr schnell. Im einen Augenblick sah sie es noch deutlich; mit dem nächsten Wimpernschlag war es verschwunden, wie ausgelöscht. Mina machte eine hastige Bewegung.
    Ihre Füße rutschten auf dem feuchten Boden. Sie streckte die Arme seitwärts aus, um das Gleichgewicht zu halten, trat auf einen der blanken, flachen Steine direkt vor ihr. Die Oberfläche war schon nass vom Regen, ihre glatte Sohle fand keinen Halt. Sie glitt aus, streckte die Arme weiter, drehte sich unwillkürlich sehr schnell auf einem Fuß.
    Die Wolkenlichtstreifen brausten an ihr vorbei in einem Schwall von Violinen. Sie kniff die Augen zu, riss sie wieder auf.
     
    Licht, das zwischen Rahmengittern strömte. Schwarzdunkle Wände, höher als der Himmel. Gelbe Kerzenflämmchen in der Luft, Dutzende, Hunderte davon. Zitternd, schwankend in einem Wind, der nicht wehte. Und aus dem sterbenden Abend flog jetzt mächtig und klar die Musik heran.
    Minas Schwung zog sie herum, sie fand nichts, um sich daran festzuhalten. Wo eben noch Ranken und Büsche ihre Beine zerkratzt hatten, war nichts mehr bis auf die kühle Luft, die ein polierter Steinboden ausatmete. Sie taumelte, die Violinen seufzten auf. Und der höchste, allerhöchste ihrer Töne trug sie in den unwahren Saal, der sich aus der Dämmerung erhob.
     
    Schwarz war ihr Haar, wie Silber ihr Kleid. Sie war da, ohne dass sie vorher fort gewesen wäre, ein weiterer Streifen Wolkenlicht in der Dunkelheit. Aber sie bewegte sich so schnell,
wie kein Sturmwind sich bewegte, und all die winzigen Spiegelbilder, die sich in Fensterscheiben drehten, wo eben noch nichts als bröckelnde Mauerreste gewesen waren … Sie gehörten alle ihr. Unter dem Tosen der Musik machten ihre Füße kein Geräusch auf dem glatten Boden, und das silberne Kleid umflatterte sie so lang, dass es aussah, als ob sie schwebte.
    Mina taumelte und fiel auf die Knie. Sie hätte nicht sagen können, ob es feuchte Erde war, die unter ihrem Gewicht nachgab, oder ob harte Platten ihre Haut zerschrammten. Was ihre Finger fühlten, als ihre Hände auf dem Boden umhertasteten, war kalt und nass; sie senkte den Blick nicht nach unten. Die Tänzerin wirbelte durch den riesigen Schattenraum, und Mina wusste, sie spiegelte sich auch in ihren Augen. Sie konnte den Blick nicht abwenden. Kein Gedanke mehr an das goldglänzende Etwas zwischen den Bäumen; kein Gedanke an die Tater, deren Stimmen sie nicht mehr hörte. Nur sie , die sich drehte und schwebte, und Melodie und Rhythmus.
    Die Musik wurde stärker. Sie erfüllte die Stille, wie die kleine, alte Spieluhr es niemals vermocht hätte, so mächtig, dass kaum noch Luft zum Atmen zwischen den Tönen blieb. Die Tänzerin drehte sich allein, obwohl es manchmal so aussah, als hielte sie die Arme um einen unsichtbaren Tanzpartner geschlungen; sie drehte sich, und mit jeder Drehung schien die Musik lauter zu werden. Mina keuchte. Aber sie hörte es nicht.
    Ein Teil von ihr war starr vor Furcht, wollte, dass sie sich unter ihrem Mantel zusammenkauerte, sich kleinmachte, in einem Schattenflecken verschwand. Aber die Musik hatte sie längst an den Handgelenken gepackt. Sich um ihre
Knöchel gewunden, unnachgiebig wie die nassen Brombeerranken, Dornen in ihr kleines Herz gebissen, es in ihren Takt gezwungen. Einszweidrei, einszweidrei …
    Ah, wie es zerrte und zog! Einmal, ein einziges Mal, eine kurze

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