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Der siebte Schwan - Mer, L: Der siebte Schwan

Der siebte Schwan - Mer, L: Der siebte Schwan

Titel: Der siebte Schwan - Mer, L: Der siebte Schwan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lilach Mer
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würden zittern, und sie würde über den fleckigen Boden fliegen, gebannt in den Armen, die sie verbrannten. Wenn die Nacht außerhalb der Halle unter dem Morgen versank, würde sie mit ihr vergehen, in die Dunkelheit, die jenseits des Lichts war. Und dort würde sie tanzen und brennen, tanzen und brennen, bis es Zeit war, wieder emporzusteigen. Abend für Abend. Nacht für Nacht. Sie wusste, dass er die Wahrheit sagte.
    Und sie wusste, dass er log.
    Irgendwo in dem Gleißen waren Augen, große, längliche Augen, wie leuchtende Blätter. Sie schimmerten sanft, als ob Tränen in ihnen stünden. Aber kein Wasser konnte in dieser Hitze bestehen.
    Mina riss wieder an ihren Händen, stemmte sich gegen den Körper aus Licht und Feuer. Für einen Moment gelang es ihr, ihn aus dem Takt zu bringen. Die Violinen stolperten schrill, als er einen Schritt verlor; dann hörte sie wieder das seltsame Klirren auf den Steinen, während er sich fing, lauter als zuvor. Und diesmal wusste sie, was es war. Sie brauchte nicht nach unten zu sehen, um zu wissen, dass
nicht alles Menschenfüße waren, die unter ihrem wirbelnden Rock dahinflogen.
    »Mina«, er presste sie fest an sich, und in der Hitze verglühte der letzte Rest Atem, den sie noch hatte. »Kleine, dumme Mina.« Seine Stimme schnarrte. »Was sträubst du dich? Wir tanzen nur, du und ich. Du liebst es, zu tanzen. Du willst nicht aufhören. Du kannst nicht aufhören. Jetzt nicht mehr.«
    Sie riss und zerrte mit all ihrer Kraft. Wut schäumte auf unter dem Entsetzen. Wie konnte er es wagen, was auch immer er war! Wie konnte er es wagen, den Tanz gegen sie zu richten? Den einen, herzschlagenden Rhythmus, den Walzer, der sie durch so viele graue Stunden getragen hatte? Und jetzt legte sich das Einszweidrei wie Schlingen um ihren Körper …
    Nein, wollte Mina schreien, aber natürlich kam kein Laut heraus, und er war es, der nun lachte. Ein wildes, kehliges, fröhliches Lachen. Selbst in ihrer Wut und ihrem Schrecken spürte sie es bis in ihre eigene Brust; bis dort unten, wo alles stumm blieb und leer.
    Mina kämpfte, rang um einen klaren, eigenen Gedanken. Er log, sie wusste, dass er log! Was hatte sie getan? Was hatte sie nicht getan?
    Und wenn der Teufel selbst mich zum Tanz aufforderte …
    Sie starrte in das Gleißen, die Augen, die irgendwo darin waren. Sie schienen ihr zuzuzwinkern.
    Und wenn der Teufel selbst mich …
    Dann erkannte sie es, mit einem Schlag.
    Sie hatte ihn nicht gerufen. Sie konnte ihn nicht gerufen haben. Gelacht, ja; wild, wie Marthe.
    Aber nicht gerufen.

    In dem Moment, als dieser Gedanke in all seiner Klarheit in ihr auftauchte, zerbrach der Violinenklang in tausend schrille Scherben. Stille donnerte in Minas Ohren; die vielen Kerzenflämmchen loderten grell auf, bis Feuer den ganzen, riesigen Saal zu erfüllen schien. Ein gewaltiger Schwung warf sie herum. Da war kein Halt mehr, kein Arm, keine Hand. Sie flog allein, die Kerzen verloschen. Dann schlug sie zu Boden.
     
    Eine lange Zeit blieb sie so liegen. Ihr keuchender Atem hallte gegen den Steinboden unter ihrem Gesicht, sie schmiegte die Wange gegen seine Kühle. Und lange, ehe es ihr gelang, den Kopf zu heben, wusste sie, dass der Saal um sie her leer war.
    Leer. So leer wie ihr Mund. So leer wie die Stelle in ihrer Brust, an der ihr Lachen gewohnt hatte.
    Keine Wolkenlichtstreifen, die sich um sie wiegten. Kein Kerzenflackern. Keine Musik. Nur Schatten und Stille und das scharfe Gefühl des Verlusts.
    Mühsam richtete Mina sich auf. Der Steinboden war übersät mit dunklen Flecken. Unwillkürlich suchte sie zwischen ihnen nach ihrem Schleifenband; die Haare hingen ihr offen und wirr um den Kopf. Aber wen wollte sie damit noch täuschen? Wem wollte sie weismachen, dass sie ein ganz gewöhnliches Mädchen war, indem sie ihre Haare ordentlich flocht? Sie hatte keine Sprache mehr. Sie hatte kein Lachen. Und die Dinge, die sie gesehen hatte, die sie immer noch sah - sie würden sich für alle Zeit in ihren Augen spiegeln.
    Mina ließ sich wieder auf den kalten Boden sinken. Er verschwand nicht unter ihr. Auch die hohen Wände lösten
sich nicht auf. Wo auch immer sie hingeraten war - sie war noch immer dort. Die Nacht und die Vergangenheit hielten sie weiter mit steinernen Fingern umfasst.
    Ein Ton wehte durch die schweigende Halle, ein winziges Stück Musik. Mina zuckte zusammen.
    Der Ton wiederholte sich. Es war keine Violine, die ihn spielte. Er war rauer, eindringlicher. Weniger schön, aber

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