Der siebte Turm 01 - Sturz in die Dunkelheit
erkannte ihn, doch er sah anders aus. Er war kleiner und dünner und seine Haut schien ein wenig zu leuchten. Der Sonnenstein-Ring an seinem Finger fing das Licht der Sonne auf und umgab seine Hand mit kleinen Regenbogen.
Sie sah ihre Hände an und stellte fest, dass sie ebenfalls leuchteten. Und ihre Finger erschienen ihr länger.
„Bin ich ich selbst?“, fragte sie verwundert.
„Du bist das, was du hier bist“, gab Tal zurück. „Aenir ist eine Welt voller Geister und Magie und wir sind jetzt ein Teil davon. Wir sind hier nicht mehr so fest. Versuch zu springen.“
Er sprang selbst hoch und erreichte einen Ast, der mindestens drei- oder viermal so hoch war wie Milla. Dann kam er wieder herunter, wobei er langsam wie eine Feder flog.
Milla beugte sich hinunter und sah ihr Schwert auf dem Boden liegen. Sie hob es auf und strich dabei mit der Hand über die weißen, langen Flechten.
„Gras“, sagte Tal, als er ihren verwunderten Gesichtsausdruck bemerkte. „Man kann darauf in der Sonne liegen.“
Milla steckte das Schwert hinter ihren Gürtel und versuchte einen Sprung. Der trug sie beinahe auf eine der großen Pflanzen.
„Pass auf die Bäume auf“, lachte Tal.
„Bäume“, wiederholte Milla verwundert. „Wir haben Geschichten über Bäume. Aus der Zeit bevor der Schleier gemacht wurde und das Eis kam. Ich hatte sie mir nicht so vorgestellt.“
„Das ist ein Wald“, erklärte Tal. „Eine Menge Bäume an einem Ort.“
„Das ist gut“, sagte Milla und schnüffelte im Wind. Hier gab es keinen Geruch kalten Steins. Das Einzige, was Schwierigkeiten machte, war das Licht, doch daran konnte man sich gewöhnen. Ihre Augen mussten sich mit ihr verändert haben, denn sie verspürte nicht das Bedürfnis, sie zuzukneifen.
„Das Einzige, was nicht stimmt, ist, dass wir normalerweise auf der Straße der Erwählten hätten herauskommen müssen“, sagte Tal. „Sie ist einer der wenigen Orte, die immer gleich bleiben und es gibt Häuser und Läden dort.“
„Da könnten wir entlang gehen“, schlug Milla unbeschwert vor.
„Aber ich weiß nicht, wo die Straße ist“, gab Tal zu. „Ich habe mich verlaufen.“
KAPITEL SECHSUNDZWANZIG
Tal sah sich instinktiv nach seinem Schattenwächter um, um ihn nach der Enklave der Erwählten zu fragen. Wenn er das wusste, würde er auch einen Weg dorthin finden.
Doch als Tal sich umdrehte, bewegte sich sein Schatten mit ihm. Wie ein natürlicher Schatten. Eigentlich zu sehr wie ein natürlicher Schatten. Seinem Schattenwächter war es noch nie sonderlich gut gelungen, einen echten Schatten zu imitieren.
Tal beugte sich hinunter, um ihn zu berühren, fühlte aber normales Gras und nicht das vertraute Schattenfleisch.
„Er ist weg“, sagte er wie benommen. „Ich habe meinen natürlichen Schatten wieder.“
„Gut“, sagte Milla. Sie sah sich mit gerümpfter Nase um. Etwas störte sie, wenn sie auch nicht genau sagen konnte, was es war.
„Du verstehst das nicht“, sagte Tal und schüttelte gleichermaßen ungläubig wie besorgt den Kopf. „Er war mein ganzes Leben lang bei mir. Ich wusste, dass er mich verlassen würde, wenn es an der Zeit wäre, mir einen Geistschatten zu suchen. Aber ich dachte, er würde warten, bis ich bereit war, ihn gehen zu lassen! Er hätte sich wenigstens verabschieden können…“
Etwas zischte hinter den Bäumen. Das warnende Zischen des Schattenwächters. Dann sprang ein kleines, pelziges aber irgendwie vertrautes Tier hinter den Bäumen hervor. Es hüpfte auf Tals Brust, leckte sein Gesicht ab und sprang wieder davon.
Milla hatte ihr Messer in der Hand und war bereit, es zu werfen. Doch sie zögerte. Bevor sie es sich anders überlegen konnte, verschwand das Tier schnell zwischen den Bäumen.
„War er das?“, fragte sie zögerlich. „Kein Schatten mehr?“
„In Aenir sind sie keine Schatten, bis wir sie an uns binden und mit zurücknehmen“, sagte Tal. Er wischte sich sein Gesicht mit dem Ärmel ab. „Ich glaube… ich glaube, er war so oft ein Dattu, weil er hier einer ist.“
Er schüttelte ein paar Mal den Kopf, als wollte er seine Gedanken ordnen und sah dann wieder zu seinem natürlichen Schatten hinab. Tal fühlte sich ohne seinen Schattenwächter sehr allein. Er hatte Tal unzählige Male gerettet – aus Gefahren, peinlichen Situationen und Schwierigkeiten. Und jetzt hatte Tal nur noch einen nutzlosen Schatten.
Einen beinahe nutzlosen Schatten, korrigierte er sich, denn er würde ihn bald
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