Der siebte Turm 01 - Sturz in die Dunkelheit
mit einem Auge die Mädchen beobachtete, die die Schiffe und Kacheln bewegten.
„Ah, hier ist es“, sagte die alte Frau, nahm einen kleinen und sehr staubigen Beutel aus Selski-Haut aus dem Regal und gab ihn Tal. „Offne ihn.“
Tal öffnete den Beutel und musste niesen, als der Staub aufwirbelte. Er holte zwei Dinge hervor: ein dünnes Rechteck aus Knochen – vielleicht von der Größe seiner Hand – und ein Vergrößerungsglas mit einem goldenen Rand.
„Vor langer Zeit“, begann die Mutter-Crone, „als ich gerade ein wenig älter war als diese Schildjungfrauen, wurde in der Nähe des Ruinenschiffs ein Mann gefunden – ein Mann ohne Schatten. Er sagte, er hätte ihn verloren und vielleicht war es auch so. Doch wir bemerkten, dass er Angst vor allen Schatten hatte, so als könnte sein eigener zurückkehren. Er nannte sich selbst einen Erwählten vom Schloss der Sieben Türme, doch mehr wollte er nicht sagen. Wir drängten ihn nicht, uns mehr zu erklären, denn er war der erste Fremde, der jemals vom Berg des Lichtes herabkam. Die Erinnerung der Cronen reicht weit zurück. Er blieb viele Schlafzeiten bei uns und schnitzte an diesem Knochen. Er benutzte dabei das Vergrößerungsglas, um seine Arbeit noch kleiner, noch geheimer zu halten. Er sagte uns nie, was es war. Es scheint jedoch eine Karte zu sein, die den Weg in dein Schloss hinein zeigt.“
Tal sah sich die kleine Knochenplatte jetzt interessierter an und hob das Vergrößerungsglas an ein Auge. Es war sehr stark und sogar in der schwachen Beleuchtung konnte er die feinen Zeichnungen erkennen, die in die Oberfläche geritzt waren. Es gab auch Buchstaben – so klein, dass sie mit der feinsten aller Nadeln eingeritzt worden sein mussten. Tal brauchte mehr Licht, um sie entziffern zu können. Dabei handelte es sich offensichtlich um das Alphabet, das normalerweise im Schloss benutzt wurde und nicht um die viel komplexeren Runen der Geistwelt von Aenir.
„Hat er euch seinen Namen gesagt?“, fragte Tal. „Was ist mit ihm geschehen?“
„Wir nannten ihn Langgesicht. Als er zu uns kam, waren seine Augenbrauen und ein großer Teil seiner Haare weggebrannt und daher war seine Stirn so hoch und glatt wie sein Kinn. Nachdem er mit der Schnitzerei fertig war, wurde er unheilbar krank. Wir überließen ihn dem Eis.“
Tal erschauerte. Die Eiscarls schienen geradewegs begierig darauf zu sein, alles Nutzlose dem Eis zu übergeben. Tal hatte außer den Cronen noch keine alten Eiscarls gesehen.
„Du kannst die Karte von Langgesicht mitnehmen“, sagte die Mutter-Crone. „Und auch noch andere Ausrüstungsgegenstände, die du brauchst. Milla wird sich noch ein paar Tage ausruhen müssen, bevor ihr geht, doch dann steht es dir jederzeit frei aufzubrechen. Wenn Milla mit einem Sonnenstein zurückkehrt, wissen wir, dass die Zeit für ein Treffen der Eiscarls und der Erwählten gekommen ist. Wenn nicht, werden wir andere Wege suchen, um unser Wissen zu erlangen… und unsere Sonnensteine.“
Es war zwar keine offene Warnung, aber Tal hörte wohl, dass in ihrer Stimme etwas Bedrohliches mitschwang. Zunächst machte er sich keine Gedanken deswegen. Die Eiscarls waren zwar ein wildes Volk und die Cronen besaßen Kräfte, die er nicht verstand, doch sie würden niemals gegen die Lichtmagie des Schlosses und die Macht der Geistschatten ankommen.
Doch noch während er darüber nachdachte, warf er einen Blick auf den Reckoner und all die Schiffe. Es gab unzählige davon, mindestens fünfhundert. Sie waren glücklicherweise über die ganze Welt verstreut… doch gegen die Erwählten waren sie in der Überzahl. Wenn sie es schaffen würden, in das Schloss zu gelangen…
„Milla braucht nicht mitzukommen“, sagte er. „Ich könnte einen Sonnenstein zurückbringen.“
„Du würdest hierher zurückkehren?“, fragte die Mutter-Crone mit der leichten Andeutung eines Lächelns. „Ich glaube, es wäre besser, wenn Milla mitkommt und sich selbst einen Sonnenstein sucht.“
„Ja“, sagte Tal unglücklich. Er hatte sich daran gewöhnt, mit Milla zu reisen – zumindest als sie verletzt und schweigsam war. Ob er allerdings mit einer gesunden Milla reisen wollte, dessen war er sich nicht so sicher. Er konnte nie voraussehen, was sie tun würde. Außerdem hatte er noch immer den Verdacht, dass sie ihn umbringen wollte. In ihren Augen war er niemals mehr als ein Eindringling gewesen, der nur eine gute Ausrede gehabt hatte, um sein Leben zu retten.
Und doch hatten sie
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