Der siebte Turm 03 - Aenir - Reich der Schatten
einzugreifen. Und was hätte der Kodex mit einer einzigen Vabe schon ausrichten können? Sie war nur so groß wie der Fuß des Jungen und konnte nicht einmal beißen. Vaben kauten Gräser. Sehr langsam.
Die Sturmhirten, gewaltige Kreaturen aus dunklen Wolken und hellen Blitzen, kamen herab. Der Kodex hörte zu, als sie das Leben forderten, das der Erwählte und das Eiscarl-Mädchen ihnen unwissentlich angeboten hatten. Der Kodex wäre gern in den Verstand des größeren Sturmhirten eingedrungen, doch die Verbindung zu der Vabe war schon recht unstet und er wusste, dass er den Sturmhirten niemals erreicht hätte. Er würde lediglich die Vabe verlieren.
Also konnte er nur zuhören.
Der Erwählte und das Eiscarl-Mädchen weigerten sich.
Die Sturmhirten hoben ihre Sturmwolken-Fäuste und Blitze begannen aufzuleuchten. Kleine Funken wurden länger und länger. In ein paar Sekunden würden die Sturmhirten die Blitze abfeuern und den Jungen und das Mädchen vom Hügel fegen.
Ein Hungeranfall überkam die Vabe. Sie hatte seit Stunden nichts mehr gegessen. Der Kodex versuchte, den Fressinstinkt zu unterdrücken, damit sich das Tier auf den Jungen der Erwählten und das Eiscarl-Mädchen konzentrieren konnte.
Doch der Hunger der Vabe wurde stärker. Die Verbindung wurde unbeständig. Die Sicht des Kodex durch das kleine Tier wurde unscharf.
Dann wurde alles schwarz.
KAPITEL ZWEI
Der Regen prasselte auf den Hügel nieder und ringsum schlugen zuckende Blitze ein. Zwei kleine Gestalten, ein Junge der Erwählten und ein Eiscarl-Mädchen, standen trotzig vor den beiden hoch aufragenden Wolken-Kreaturen.
„Wir fordern ein Leben!“, brüllten die Sturmhirten gemeinsam. Ihre Stimmen waren so laut wie ein Sturm. „Wer wird den Blutzoll entrichten?“
„Wir werden euch nichts geben!“, rief Tal und hob seinen Sonnenstein-Ring. Er leuchtete heller und heller, als sich Tal darauf konzentrierte, einen Strahl gebündelten Lichtes auf die beiden Sturmhirten loszulassen.
Neben Tal hob Milla ihr Schwert aus Merwin-Horn. Auch sie besaß jetzt einen Sonnenstein, war aber im Umgang damit nicht geübt. Zumindest noch nicht. Tal hoffte, dass ihr Schwert genau so durch das seltsame Wolkenfleisch der Sturmhirten schneiden konnte wie durch das der Schatten im Schloss.
„Ihr habt uns gerufen!“, donnerte der größere der beiden Sturmhirten. „Vom Blut auf dem alten Hrigga-Hügel gerufen, müssen wir annehmen, was uns geboten wird und euch als Gegenleistung ein Geschenk machen.“
Tal glaubte, einen zögerlichen Unterton in der Stimme des Sturmhirten gehört zu haben. Es hatte so geklungen, als wollte er eigentlich gar kein Leben nehmen. Vielmehr, als ob er dazu gezwungen war. Tal wusste, dass viele der Kreaturen von Aenir an alte Zaubersprüche gebunden waren. An Magie, die die Erwählten nicht kannten. Vielleicht waren auch diese Sturmhirten an einen solchen Zauber gebunden, der sie ein Leben fordern ließ, wenn auf diesem besonderen Hügel Blut verspritzt wurde.
„Wir wollten euch nicht rufen“, rief Tal zurück. Es war anstrengend, gegen den Wind zu sprechen, der um den Hügel heulte. Dazu regnete es noch in Strömen – ganz zu schweigen vom brüllenden Donner der Sturmhirten und dem Knallen der Blitze aus ihren Händen.
„Und doch habt ihr gerufen“, brüllte der Sturmhirte. Er klang beinahe traurig.
Während er sprach, hob er seine Hand noch weiter – und schleuderte plötzlich eine ganze Hand voll Blitze gegen Tal und Milla.
„Lau…“, begann Milla, doch ihre Warnung wurde unterbrochen, als die Blitze zu ihren Füßen einschlugen. Erwählter und Eiscarl waren geblendet und gelähmt. Und dann, als der Donner immer wieder um den Hügel grollte, wurden sie auch noch fast taub.
Tal war sich nicht sicher, was als Nächstes geschehen würde. Er kroch auf allen Vieren umher, die Finger in den Schlamm gegraben. Er versuchte aufzustehen, um mit dem Licht seines Sonnensteins einen Gegenangriff zu starten. Doch er konnte weder etwas sehen noch hören. Er stieß mit Milla zusammen und beide fielen auf den Rücken.
Als Tal versuchte, sich aufzurappeln, spürte er eine übermächtige Kraft, die ihn zurück in den Schlamm drückte. Der Druck auf seiner Brust und seinen Schultern war so groß, dass er kaum noch atmen konnte. So sehr er sich auch anstrengte, es hatte keinen Zweck.
„Milla!“, rief er. Seine Stimme hallte in seinem Kopf nach, doch er konnte sie nicht hören. Auch seinen Sonnenstein konnte er
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