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Der Sieg nach dem Krieg

Der Sieg nach dem Krieg

Titel: Der Sieg nach dem Krieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Hassencamp
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stehen. Fragen, wie lang die Beschlagnahme wohl dauern werde, wem man die Funktionsweise der Heizung und elektrischen Anlage erklären dürfe — jedes Haus hat da seine Mucken — blieben unbeantwortet. Das Bild vom Befreier verdüsterte sich zu offener Feindseligkeit.
    Eine nahe Gastwirtschaft nahm die Familie samt Haushälterin auf. Nun saßen sie draußen, liefen mehrmals am Tag den Zaun entlang, schauten hinein ins Enteignete, versuchten, ob sie etwas angeblich Vergessenes holen durften — vergeblich. Jeder Kontaktversuch wurde abgeblockt. Nach etwa zehn Tagen tat sich was im Familiensperrgebiet. In bisher nicht gesehenen Wagen fuhren neue Gesichter durch die Einfahrt, die Feindseligen kamen heraus. Ein Wechsel? Die alte Haushälterin faßte sich ein Herz: Sie marschierte auf das Grundstück zu. Mit Mund und Händen erklärte sie dem ersten, der sie aufhalten wollte, sie sei gekommen, um die Wäsche zum Waschen und Bügeln zu holen. Ihr Auftreten erweckte den Eindruck einer bestehenden Regelung. Die neuen Herren nickten und kramten in ihrem Gepäck. In der Zwischenzeit sah die Haushälterin sich um, öffnete Türen, holte einen Korb und packte das Bügeleisen hinein. Die Bettwäsche der Vorgänger, die sie mitnehmen wollte, fehlte. Aus reichlichen Beständen konnte sie unbehelligt alle Betten frisch überziehen.
    In der Gastwirtschaft wurde ihr Alleingang gefeiert. Der Trick mit der Wäsche war strategisch ein Brückenkopf. Endlich wußte man, daß zwar manches umgestellt, das Inventar im großen und ganzen aber unbeschädigt und vorhanden sei. Bis in die Nacht wurde gewaschen und beraten, wie man es anstellen könnte, um bei Rückgabe der Wäsche noch dies oder das herauszuholen und sei es, um dafür anderes einzutauschen. Denn es fehlte an allem. Ein jüngerer Verwandter schlug vor, den Korb tragen zu helfen, um sich bei der Gelegenheit als Hausmeister mit Englischkenntnissen zu empfehlen, damit der Kontakt nicht abreiße.
    Doch es kam anders.
    Als die Haushälterin anderntags die Wäsche zurückbrachte — allein, um den Brückenkopf nicht zu gefährden — erklärte ihr ein Offizier in leidlichem Besatzerdeutsch, er wünsche die Dame des Hauses zu sprechen. Sie kam. Damit es nicht zu devot aussehe, eine Stunde später, und bis auf den Ehering ohne Schmuck. Kühl aber höflich wurde sie empfangen. Der Offizier stellte sich vor: Captain Parker.
    Er schien zugänglicher als sein Vorgänger. Platz zu nehmen, auf einem ihrer Stühle, bat er sie jedoch nicht, wollte nur wissen, was die Wäschepflege koste. Um Geld gehe es ihr nicht, antwortete die Dame des Hauses in fließendem Englisch, während ihr Inventurblick schweifte, sie habe hungrige Kinder. Captain Parker überlegte und schlug vor, die Verköstigung der Haushälterin zu übernehmen. Dann habe man einen Esser weniger.
    Sie dankte für das großzügige Angebot, lehnte aber ab. Man wolle der Truppe nichts wegnehmen. Ihr wäre schon geholfen, wenn sie jeweils die Reste bekommen könnte, das, was übrigbleibt und sonst weggeworfen werden würde.
    Solche Bescheidenheit von einer Dame, die zweifellos bessere Tage gesehen hatte, beeindruckte den Sieger. Er willigte ein. In alten Waschkrügen, wie sie vor Einrichtung des fließenden Wassers gebräuchlich waren, holte die Haushälterin fortan Suppen, Gemüse, Kompott, dazu Weißbrot, Butter, Cornedbeef. Die Reste waren so reichlich bemessen, daß die Familie auch Nachbarn mitversorgen konnte, die, wie sie, in der Gastwirtschaft ihr Notquartier gefunden hatten.
    Nach wohldosierter Strategie kam die Haushälterin nie mit leeren Händen, wenn sie die Reste abholte. Jedesmal brachte sie kleine Aufmerksamkeiten mit, etwas, das an kontinentale Kultur erinnert, wie Blumen aus dem Garten, in Vasen auf den Eßtisch gestellt, Holz mit Kleinholz, im Kamin zum Anzünden geschichtet. Im Vorübergehen schüttelte sie Sofakissen auf, ohne sie mit Handkantenschlag zu verspießern, zog die Gewichte einer Standuhr hoch, wechselte unaufgefordert Tisch- und Handtücher, wie in einem besseren Hotel. In wenigen Tagen unterhöhlte sie Captain Parkers Dienstvorschrift über den Umgang mit Deutschen derart, daß er sich nach dem Befinden der Familie erkundigte und den Altvorderen schließlich gestattete, aus der Enge des Gasthofs ins Nebengebäude zurückzukehren.
    Mit einem Schließkorb voller Kleider, Wäsche, Decken, von der Haushälterin auf einem Leiterwagen gezogen, kamen die alten Herrschaften den Kiesweg herauf — ohne

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