Der Sieg nach dem Krieg
festgenommen. Man registrierte die Künstler und konnte sich wieder scheiden lassen, der Interzonenverkehr rollte zügiger. Es gab Kennkarten, Raubmorde, Stromabschaltungen, aber auch Care Pakete aus den USA, Sportveranstaltungen und am Wochenende in den Gaststätten Tanz.
Der Bedarf an Konterbande für künstlerische Tätigkeit kletterte steil nach oben. Maria konnte die Kaffeebohnen, die ich verlangte, nicht mehr beschaffen und schickte mich zu einem Kollegen, einem Schwarzgrossisten. Der habe das Gewünschte säckeweise , fünf Treppen hoch in seiner Wohnung. Auf meinem Weg zu dem stattlichen Eckhaus hielt mich eine junge Frau auf. »Gehen Sie bloß nicht weiter !« warnte sie mit deutlicher Aussprache und reichem Mienenspiel.
Wie sich herausstellte, kannten wir uns von einem Vorsprechen bei Erich Engel, mittlerweile Generalintendant und mit dem Aufbau eines größeren Ensembles beschäftigt. Vom sogenannten Probenlicht, einer illusionsraubenden Sparbeleuchtung unvorteilhaft erhellt, hatte sie zwei Rollen dargeboten, eine klassisch-neckisch, eine boulevard-neckisch, mit jenen Pausen zwischen den Sätzen, in denen der Partner spricht, der nicht vorhanden war. Weil es darum ging zu gefallen, war sie gewaltig aufgeputzt gewesen. Die Oberweite nach Art amerikanischer Säugetiere auf Menge gequetscht, ein Drittel davon freigelegt, Taille betont und das dicke Ende danach. Grell leuchteten Lippen und Fingernägel; die Beine, auf die sie mit Zupfen und Lupfen am Rock aufmerksam machte, steckten in sündteuren Nylonstrümpfen. Dessen ungeachtet sank sie im Zuge künstlerischer Temperamententfaltung mehrfach auf die Knie, um zu zeigen, daß ihr Gestaltungswille keine Opfer scheute. Das feine Gewebe hielt der Kostprobe nicht stand. Schwer atmend stemmte sie am Schluß die Hände ins Eingeschnürte und fragte auch noch: »Na, wie war ich ?«
Engel hatte gelitten. Er machte es deutlich. »Ich habe soviel Unnatürlichkeit noch nie so entfesselt gesehen .«
Mit Aufschrei und Weinkrampf stürzte sie von der Bühne, ich hinterher, um ihn trockenzulegen. Es gelang sofort. Auch der war unecht gewesen.
»Machen Sie das nächste Mal weniger«, riet ich und schob die zitternde nächste Aspirantin unter das Probenlicht.
Nun also hatte sie mir geraten und deutete ohne jede Übertreibung auf den Grund.
Vor dem Eckhaus war ein gemischtes Kommando aus deutschen Polizisten und amerikanischen Soldaten vorgefahren. Die Razzia lief planmäßig ab. Ich war fasziniert. Wir schlenderten näher. Meine Warnerin unterrichtete mich über sämtliche Mieter im Haus, zu denen auch sie gehörte. Unbehelligt traten wir in den amtlichen Tatort. Das Wort Artist hatte genügt. Sie gab mich als Kollegen aus, der ihr beim Rollenstudium helfe.
Von besten Plätzen im Treppenhaus verfolgten wir das unwürdige Schauspiel. Vor jeder Wohnungstür standen eingeschüchterte Mieter, während drinnen die Obrigkeit das Unterste zuoberst kehrte. Immer wieder gingen Blicke nach oben. Dort im fünften Stock saß der oftmals beneidete Großschieber auf seinen Kaffeesäcken und haderte mit seinem Schicksal.
Wieso hatte er bei seinen Beziehungen keinen Wink bekommen? Was sollte er jetzt tun? Den Kaffee ins Abflußrohr der Dachrinne schütten und ihn drunten mit der Mülltonne auffangen? Das würde Lärm machen, schließlich handelte es sich um Bohnen, und die Polizei ließ sowieso niemand aus dem Haus.
Mieter wurden angebrüllt und zitterten wegen Kleinigkeiten, ein paar Zigaretten, amerikanisches Milch- und Eipulver. Einer zitterte nicht mehr. Im vierten Stock lag ein Toter, schon im Sarg, aber noch nicht abgeholt.
Als die Razzia bereits im Dritten wütete, gebot es die Pietät, den für ewig Ruhenden der kleinlichen Schnüffelei zu entziehen. Vier Mann trugen auf ihren Schultern den Sarg feierlich die Treppe hinunter. Polizisten und Soldaten traten zurück und erwiesen dem Hingeschiedenen durch Handaufnahme an die Mütze letzte Ehre. Dann suchten sie weiter.
»Noch einer ?« wunderten sich zwei Beamte, die im vierten Stock einen weiteren Toten vorfanden, diesen im Bett liegend.
»Eine Epidemie, infolge Unterernährung«, sagte ein Hausbewohner und schaute schicksalsergeben. »Wir sind verzweifelt. Er hat nicht einmal das Geld für einen Sarg .«
Das Wort Epidemie brachte die Wende. Die Schnüffler brachen ihre Arbeit ab; der fünfte Stock wurde nur noch besichtigt. Ergebnislos. Was sie an Ausbeute davontrugen, war mehr als dürftig. Den großen Fisch hatten sie
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