Der Sieg nach dem Krieg
Erst jetzt, im Liegen, begriffen wir unsere Lage. Die Nähe der andern tat gut, es wurde still, doch der lange, ruhige Atem des Kollektivschlafs blieb aus.
Nur die beiden Möpse schnarchten asiatisch-fatalistisch. Gerädert, wie nach einer Nacht auf der Eisenbahn setzten wir uns im Morgengrauen zum Frühstück und brachten doch keinen Bissen hinunter; um sieben Uhr gingen wir noch einmal hinüber, um Abschied zu nehmen von der enteigneten Zuflucht. Prüfend wanderten Blicke durch Zimmer, tarnten Hände besonders dreiste Tauschmanöver mit Krimskrams . Ein kleines Bild wurde durch ein großes ersetzt, weil auf der Tapete ein helles Rechteck verriet, daß hier ein größeres gehangen hatte; das Verdunklungsrolleau wurde wieder abgenommen und raschelte wie in Kriegstagen. Draußen näherte sich Motorgeräusch und blieb.
»Ein Jeep«, sagte jemand.
Wie die sieben Schwaben ihren Spieß, umklammerten wir die Stange mit dem Verdunklungsrolleau und wollten gerade in den Garten hinausschleichen, als die Zimmertür geöffnet wurde. Es war die Gräfin.
Erschöpft, doch beherrscht, und von dezenter Eleganz, stand sie unter dem Tür stock und sagte mit trockener Stimme: »Ihr könnt wieder einräumen. Das Haus wird nicht beschlagnahmt .«
Wir schluckten und es gab niemanden, dem seine Erziehung nicht verboten hätte, nach den näheren Umständen zu fragen, die diese wundersame Fügung bewirkt hatten. Zigaretten wurden angezündet, wie nach einem Bombenangriff, wenn die Sirene Entwarnung gab, dann kam die Erklärung. Sie hatte ihren Chef, einen Major, nach einem Überredungsmarathon dazu gebracht, mit ihr dorthin zu fahren, wo allein der Befehl rückgängig gemacht werden konnte, irgendwo im Raum Frankfurt.
Jemand wollte Kaffee kochen — echten — unterließ es aber. Verkatert saßen und standen wir in dem fremden Sammelsurium. Alles redete, niemand hörte zu, weil man eigentlich lauschte. War das nicht ein Jeep? Fuhr er vorbei?
Es wurde acht, es wurde neun. Gegen halb zehn kam der erste konstruktive Vorschlag: »Die Getreidemühle lassen wir jetzt, wo sie ist !«
Nicht so glimpflich kamen Freunde außerhalb Münchens davon. Sie gehörten einer großen Familie an, deren Haus, seit Generationen in Familienbesitz, besonders gefährdet war: Die idyllische Lage des Anwesens bescherte den Bewohnern ungewollte Einblicke in die Siegerpsyche.
In der Stille der Stunde X näherte sich vorsichtig ein Kampftrupp dem Grundstück, umzingelte Gartenbeete, Sitzplätze, einen Nebenbau und kam schließlich, sich mit erhobener Waffe nach Kriminalerart um Türpfosten rollend, ins Haus. Es fiel kein Schuß. Befreite und Befreier atmeten auf. Englische Sprachkenntnisse und ein Willkommenstrunk beseitigten Argwohn und Vorurteile. Armeefahrzeuge rollten vors Haus, die Kämpfer legten ihr unfreundliches Werkzeug ab, boten würzige Zigaretten an, wuschen sich Gesicht und Hände. Vorräte wurden zusammengetragen, in Pfannen schmolzen Fettklumpen von lang nicht gesehener Größe. Gemeinsam speiste man an langer Tafel mit Tischtuch und Silber, trank immer wieder auf das glückliche Ende.
Beim neuartigen Kaffee aus löslichem Pulver löste sich in gemeinsamem Gesang die letzte Spannung. Fotos von Angehörigen in Amerika, sowie Angaben zur Person machten die Runde. Das deutsche Wort Gemütlichkeit wurde erklärt und als treffend empfunden. Draußen fuhr ein Jeep vor. Die Buchstaben M und P auf dem Helm wiesen den Eintretenden aus. Er war von der Militärpolizei und rügte dienstlich finster die unübersehbare Harmonie.
»It’s strictly forbidden to fraternize !«
Doch dann aß auch er mit, trank und sang. Die Befreier breiteten sich aus, die Befreiten rückten zusammen. Nichts wurde gestohlen, keines der jungen Mädchen belästigt, es herrschte Frieden unter dem gemeinsamen Dach — bis der Befehl einschlug: An einem strahlenden Tag tauschten sie Souvenirs aus, die Kampftruppe zog ab. Nichts Besseres kam nach. Was die ersten erobert hatten, besetzten die nächsten. Angeblich seien sie vom CIC, behauptete ein Nachbar. Sie stellten sich nicht vor, sprachen mit Deutschen nur das Allernotwendigste, zum Beispiel, daß das Haus innerhalb von drei Stunden zu räumen sei. Dinge des persönlichen Bedarfs dürften mitgenommen werden. Aber keine Lampen, Wanduhren oder Geschirr.
Der Senior der Familie wollte dem ranghöchsten Offizier, sozusagen unter Gentlemen, die Schlüssel des Hauses übergeben. Doch der war keiner, er ließ den alten Herrn einfach
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