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Der Sieg nach dem Krieg

Der Sieg nach dem Krieg

Titel: Der Sieg nach dem Krieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Hassencamp
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durchs Netz schlüpfen lassen, im Trauerkonvoi. Von Trägern wie von Kaffeebohnen fehlte jede Spur.

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    W ir stopften die Löcher in unseren Beziehungen wie Strümpfe. Ein alter Freund stand plötzlich da — irgend jemand hatte ihm unsere Adresse gegeben — und wußte von anderen alten Freunden, wo sie verblieben waren. Man konnte ihnen schreiben, die abgerissenen Fäden neu knüpfen. Überall wurden die gleichen Fragen gestellt: Wo sind die denn geblieben? Gibt’s den noch? Hast du was von denen gehört? Was machen die jetzt?
    Handelte es sich um eine weibliche Person, erstarb die Freude auf ein Wiedersehen mitunter bei der Antwort: »Die hat jetzt einen Ami .«
    Nicht daß wir kleinlich gewesen wären, doch das Anbandeln mit Amerikanern, die sogenannte Fraternisation — neben Curfew eines der ersten Fremdwörter, die wir lernten — hatte einen Beigeschmack. In diesem Punkt stimmten Militärregierung und Zivilbevölkerung sogar überein — beide wollten sie im Grunde nicht. Oft zu Unrecht. Es gab grundanständige Amerikaner mit reellen Absichten, aber eben mit Absichten.
    Das Verhältnis zur Besatzung schwankte zwischen Gegeneinander, Nebeneinander, Miteinander, Durcheinander. Fraternisation fiel unter Durcheinander. An den Amerikanern lag es nicht. Sie pflückten die Blumen des Landes, wie deutsche Landser sie gepflückt hatten, in Ost und West, Nord und Süd. Nun sind Pflücken und Pflückenlassen zweierlei, obwohl es aufs gleiche hinauskommt. Auch hatte man die Kriegsbräute in Erinnerung, die einen verwundeten Gefreiten für einen gesunden Ritterkreuzträger stehen ließen. Man kannte sie noch vom Schlangestehen, wo sie sich vorgedrängt, ihren Rang betont hatten: »Ich bin Offiziersdame und wünsche mit >gnädige Frau< angeredet zu werden !« Man erkannte sie jetzt wieder mit den für uns neuen roten Nägeln, Nylonstrümpfen, steilen Schuhen mit feinen Riemchen überm Knöchel, sogenannte Hurenschuhe.
    Gewiß, auch manche ehemalige Landserbraut ging für Zigaretten auf den Strich, oder um die Eltern, den Mann, das Kind durchzubringen. Es gab da vermischte Motive. Schuld am sagrotanhaften Beigeschmack des Wortes Fraternisation aber hatten die Offiziersdamen, das heißt die eine Hälfte von ihnen. Bei dieser gesellschaftlichen Spezies gab es nur zwei Extreme: weiterhin deutsche Offiziersdame, jetzt herb-stolz, edelbitter, oder Besatzungs-Offiziersdame, hochmütig und luxusgeil. Ob sich die letzteren in der Überzahl befanden, sei dahingestellt, jedenfalls fielen sie mehr auf, wenn sie beschwingt oder beschwipst aus dicken Wagen stiegen und dem Normalverbraucher zeigten, daß es ihnen besser ging. Women to the Victors.
    Es gab sie reichlich; die Wandlung eines Lebens zum Lebenswandel geschah buchstäblich über Nacht. Die Lebenswandlerinnen schmälerten das Ansehen derer, die sich ohne Hintergedanken verliebt hatten. Zum Glück blieb dies nicht auf die Dauer so, und zwar wegen eines kleinen, aber überzeugenden Unterschieds: Die einen ließen sich abends abholen und morgens zurückbringen; bei den andern kam der Besatzer in die deutsche Behausung, steuerte etwas zum Abendessen bei und fuhr um Mitternacht allein in seine Unterkunft zurück. Manche Besiegte blieb lange unbesiegt, weil die Anstandsdame Platzmangel hieß. Ihr zu entrinnen erforderte Einfälle.
    So begab es sich, daß ein Mädchen aus unserer Clique ihren smarten Lieutenant zu einer Fahrt hinaus aufs Land überredete, wo ihre beiden Schwestern weniger beengt lebten. Zum ersten wollte sie den Mann ihrer Wahl herzeigen, zum zweiten hoffte sie, dank geschwisterlicher Rücksicht, endlich einmal mit ihm alleinsein zu können.
    Dem Boyfriend leuchtete das ein. Auch er sehnte sich, der flüchtigen Küsse müde, nach ungestörten Dauerbrennern. Um ganz sicher zu gehen, vervollständigte er ihren Einfall mit eigenen Zutaten. Sein Gedankengang war männlichschlicht: Da sie zwei Schwestern hat, nehme ich zwei Kameraden mit. Dann sind alle beschäftigt.
    Der Trick ist aus dem Zirkus bekannt. Helfer lenken die anderen Großkatzen ab, während der Dompteur die Löwin bändigt. In fröhlicher Viertracht rollten die Liebes- willigen alsbald mit dem Jeep aus der Stadt. Der Weg war nicht allzu weit.
    Die Schwestern ahnten von der Invasion nichts. Aus Himbeeren und Quark bereiteten sie eine Schleckerei und malten sich aus, wie er wohl sein werde, der Schwager in spe. Volljähriger Familienzuwachs regt volljährige Töchter, die noch keinen solchen

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