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Der Sieg nach dem Krieg

Der Sieg nach dem Krieg

Titel: Der Sieg nach dem Krieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Hassencamp
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nicht aus. Darüber gab es keinen Zweifel.
    Auf der Straße saß niemand. Fürs erste würden wir alle im Gartenhaus Unterkommen können. Kompakte Nachtlager nach Sardinenpackweise waren aus Bombennächten noch geläufig. Für den Gedanken, die zum Teil wertvollen Möbel, Bilder, Teppiche, Porzellan, Silber und andere Kunstgegenstände einem obskuren Komitee zu überlassen, jetzt, da man alles überstanden glaubte, mochte sich jedoch niemand erwärmen. Bot da nicht mein flohmarkt- haft ausgestatteter Keller sich an, die Einrichtung zwar wie besichtigt zu belassen, den Wert der Gegenstände indes zu mindern? Zumal auch im Keller des Gartenhauses noch manch hilfreiches Gerümpel lagerte.
    Ein Lichtblick. Aufzuatmen wagten wir indes noch nicht und machten erst einmal Inventur. Der ganze Plunder wurde in einer Liste aufgeführt, die auszutauschenden Stücke setzten wir dahinter. Sie mußten in Zweck, Maßen und Form ähnlich sein. Dabei stellte sich heraus, daß das >alte Grafl<, wie man in Bayern sagt, ausreichen würde, um die Einrichtung eines weiteren Hauses lückenlos zu entwerten. Plunder bleibt eben, weil ihn niemand plündert. Das Was war gesichert, das Wie stand noch aus. Es durfte niemand dabei erwischt werden. Glücklicherweise führte von der Parterrewohnung des Hauses an der Straße eine Tür in den Garten. Das Mobiliar zwischen Haus und Toreinfahrt des Gartenhauses über den Gehsteig zu schleppen, wäre selbst im Schutz der Dunkelheit bedenklich gewesen. Zwar gab es die alten Nazidenunzianten nicht mehr, wohl aber neue, die für ein Päckchen Zigaretten bereit sein würden, andere zu verpfeifen. Sich vor ihnen in acht zu nehmen fiel schwer, weil man sie noch nicht kannte. Ein Nachbarhaus, von dem aus man den Garten einsehen konnte, lag in Trümmern. Doch wenn dort einer hauste, im Keller, würde er vielleicht stutzig werden.
    Also beschlossen wir Roll- und Fensterläden zu schließen und die Transporte von Haus zu Haus in völliger Dunkelheit vorzunehmen. Am großen Wohnzimmerfenster im Parterre wurde eigens das alte Verdunklungsrolleau wieder angebracht. Stimmung kam auf, das gigantische Schnippchen versprach wenigstens etwas Spaß bei aller Misere. Vereinte Männerkräfte stellten die schweren Brocken in Bereitschaft, Frauen gingen mit Kleinigkeiten schon hin und her. Zur blauen Stunde legten wir eine friedensmäßige Brotzeit ein. Butter vom Schwarzmarkt, Hartwurst, Käse, alle trugen dazu bei, teilten mit den andern. Es wurde still, klösterlich still. Jeder hing seinen Gedanken nach, wie vor einem Sturmangriff.
    Dann war es soweit. Sternlose Nacht hatte den schwarzen Tag verschlugen. Wir wußten, was zu tun war und taten es. Nur eine Bewohnerin fehlte — die Gräfin.
    Saß sie in ihrer Dienststelle fest und würde erst später kommen? Die feine Art war das nicht. Sie hätte uns wenigstens verständigen können.
    Die Männer schleppten, die Frauen richteten ein und wurden immer fröhlicher. Manchmal standen wir alle in einem Zimmer und lachten laut über unmögliche Zusammenstellungen, machten Vorschläge, die das Arrangement noch verschlimmerten, um endlich einen vertretbaren Mittelweg zu finden.
    »Hoffentlich war keiner von denen heut’ morgen Kunsthistoriker«, sagte jemand.
    Aus dem Radio tönte der amerikanische Soldatensender. Wer die Texte kannte, sang mit: On the sunny side of the STREET, OH BUTTERMILK SKY. CANDY.
    Dann kam das wahrhaft dicke Ende. Eine Getreidemühle, die mein Schulfreund auf dem Dachboden betrieben hatte, ein Kasten von transportfeindlichem Ausmaß und Gewicht. Wir stemmten und schwitzten, schoben und stöhnten, brachen zwischendurch vor Gelächter zusammen, bis das lebenswichtige Monstrum am neuen Platz aufgestellt und, außen mit alten Klamotten behängt, als überquellender Spind getarnt war.
    »So. Jetzt können sie kommen«, sagte die Frau meines Schulfreunds beiläufig, als handle es sich um Vorbereitungen für ein Fest, die hiermit abgeschlossen seien. Der Kalorienverlust verringerte die wieder aufgetischten Schwarzmarktbestände, im Wohnraum des Gartenhauses breitete sich Schlafsackidylle aus. Überall lagerten gestapelte Kleidungsstücke, standen Schuhe und Schachteln mit persönlichem Kleinkram. Die privatesten Dinge dienten, in Taschen oder Rucksäcke verpackt, als Kopfkeil. Nur zögernd beruhigten sich die überdrehten Gemüter, und die Gräfin war immer noch nicht zurückgekehrt.
    »Allmählich kann sie unserer übelsten Nachrede sicher sein«, meinte einer.

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