Der Sieg nach dem Krieg
höheren Töchter schwiegen, ohne Blick.
Doch mit Elan halfen ihnen die Sucher aus der Peinlichkeit, sie redeten weiter, vom Streben nach dem Guten bis zur Tumbheit verinnerlicht. Aus Berührtsein wurde Rührung. Auch das schienen die Sucher nicht zu bemerken. Sie rangen um Klarheit, um Hilfe, so daß ihre nächste Frage nicht mehr schockieren konnte.
»Wie ist es denn bei Ihnen? Sie sind doch auch jung und aus Fleisch und Blut .«
Die Mädchen gaben sich überfragt. Hatten sie sich bisher so wenig geprüft? Wie wichtig war dieser Kreis, um sich seiner selbst bewußt zu werden! Unter geduldiger Führung des Abtes und des Monsignore, die ausgerechnet heute absagen mußten.
Allmählich löste sich die Anspannung, wie gelegentliches Kichern verriet, das sich unter eifrigem Nachschenken häufte. In der Sache aber blieben die Mädchen verstockt. Mehr als eine Stunde lang ließen sie die Sucher im dunklen tappen. Die legten sich ins Zeug und bewiesen Stehvermögen. An ihrem sittlichen Ernst gab es keinen Zweifel. Unermüdlich käuten sie die Frage wieder, faßten bei Ausflüchten rhetorisch nach, deckten Widersprüche auf, die der Wahrheit nicht dienlich seien, bis die Gäste, endlich, mit roten Backen, gestehen mußten, ihnen gehe es genauso. Der Abend war gerettet. Erleichtert über so viel Gemeinsamkeit, sanken sie einander in die Arme und übten das Straucheln bis zum Frühstück. Und von da an weiter, bis zum Ende des Semesters. Bereichert kehrten die Mädchen zu ihren Eltern ins Rheinland zurück. Gemäß ihrer Erziehung hatten sie das Gute gesucht und etwas viel Besseres gefunden.
Zimmerprobleme
W enn ich morgens ins Theater kam, suchte ich als erstes das Betriebsbüro auf. Hier hatten die Schauspieler und Regisseure ihre Postfächer, hier erfuhr man alles Unwichtige von Interesse, manchmal auch Aufregendes, das einen selbst betraf. Auf Grund meiner Qualitäten als Regieassistent wurde ich mit meiner ersten selbständigen Inszenierung betraut.
Erich Engel baute ein neues Ensemble auf und engagierte die Crème deutschsprachiger Schauspielkunst. Für den renommierten Zuwachs mußte entsprechender Wohnraum gefunden werden. Die Stadt befürwortete das Unternehmen auf dem Papier, die Beschaffung der Zimmer und Wohnungen — insgesamt 52 Räume — wurde mir übertragen.
»Sie schaffen das, Hassencamp! Für das Künstlerische sind Sie doch weniger geeignet«, tröstete mich Harry Buckwitz, der neue Direktor.
Ich sah das Wohnungsamt an der Goethestraße vor mir, die Schlangen vor sämtlichen Türen und zweifelte an seiner Menschenkenntnis, doch fehlte es mir an geeigneten Sätzen, ihn zu widerlegen. Hätte ich schon eine Existenz gehabt, sie wäre bedroht gewesen. So sah ich nur einen Berg vor mir, aber weit und breit kein Schäufelchen, um mich hindurchzugraben.
Woher bei der angespannten Lage Zimmer nehmen? Was in Frage gekommen wäre, hatten die Amerikaner beschlagnahmt und sie beschlagnahmten weiter. Wohin also mit Paul Dahlke, Maria Koppenhöfer, Bruno Hübner und wie sie alle hießen? Wohin mit mir, wenn ich das nicht schaffte? Mein Vorsatz, vergnügt zu leben, wackelte bedenklich. Statt des schönen Morgenspaziergangs um halb zehn durch den Hofgarten zur Probe, würde ich künftig mit den Hühnern aufstehen müssen, um überhaupt bis zu denen vorzudringen, die mir vielleicht helfen konnten. Sie mit Zigaretten zu bestechen, lehnte mein beleidigter künstlerischer Stolz ab. Wenn ich nicht mehr auf die Proben kam, entging mir mein Hauptgeschäft — der Nebenverdienst. Wo sollte ich anfangen?
Ich entschied mich für ganz oben. Gewohnheitsgemäß verschlief ich das Hühnerwecken, frühstückte im Garten und begab mich gegen elf Uhr zum Rathaus. Weil es hieß, der erste Bürgermeister Doktor Scharnagl sei nicht da, ließ ich mich beim zweiten melden, bei Thomas Wimmer, einem lokalen Original. Er hatte meinen Besuch zwar nicht erwartet, fand aber die Art, wie ich meine Inszenierung anging, richtig und gab mir einen Assessor als Regieassistenten an die Seite, der ungefähr wußte, wo sich die Not der Bürger zugunsten von Schauspielern am ehesten verschärfen ließ. Mit diesem Mann tauschte ich sofort die Rolle, um mich auf ihn berufen oder notfalls mit ihm drohen zu können und ging nach Hause, denn heute gab es die lange Roulade auf der Fischplatte.
Am Abend fand wieder ein kleines Essen statt, das heißt, wir tanzten bei einer Flasche seltsamen Branntweins in einem Zimmer bis nach Mitternacht. Ohne Mühe
Weitere Kostenlose Bücher