Der Sieg nach dem Krieg
Ausländerfeindlichkeit gab es noch nicht, wir waren zu frisch besiegt. Eine Tendenz in diese Richtung bestand allerdings. Dafür sorgten zahlreiche undurchsichtige Komitees, Organisationen, Delegationen, die sich, ohne klare Entschädigungsansprüche, als Wiedergutmachungsschmarotzer gebärdeten. Auf Kosten der Zivilbevölkerung. Manchmal gelang es deutschen Behörden mit bürokratischen Tricks, Unrecht nicht dulden zu müssen. Bürgermeister und Assessor witterten offenbar eine solche Gelegenheit. Sie schauten gefährlich bedeutend und versprachen, der Sache nachzugehen.
Trotzdem setzte ich meine Bemühungen fort. Da alle Welt Wohnraum suchte, ging ich in meinem grauen Mäntelchen stets vorsichtig an den Schlangen vor den Amtsstuben vorbei. Ein Freund oder Bekannter, den mein Aufzug befremdete, hätte genügt, mein Incognito zu zerstören und mich dem Zorn der Wartenden preiszugeben.
Meine Furcht erwies sich als Magnet. Ich übersah ein besonders hübsches Mädchen und fuhr erst herum, als mein Name fiel. Ihre nachhaltige Überraschung verschaffte mir Zeit, sie aus der Schlange zu ziehen und beiseite zu nehmen.
»Sag’ nichts! Ich erklär’ Dir alles.«
Überlegungen, ob ich ihr in meiner halbamtlichen Rolle behilflich sein könnte, scheiterten an dem besonderen Fall. Sie wohnte mit ihren Eltern in drei Zimmern. Drei Zimmer — das war zuviel. Deswegen wollte ihr das Wohnungsamt einen ehemaligen Häftling des Konzentrationslagers Dachau mit Frau und Schwiegermutter ins Nest setzen. Um dies zu verhindern, war sie gekommen, begründet, wie sie fand. Eines der Zimmer hatte keinen direkten Zugang, es konnte nur durch das angrenzende betreten werden. Ein Päckchen Zigaretten, das ich ihr als Schmiermittel anbot, lehnte sie ab. Der Obrigkeitsstaat sei zum Glück vorbei, man könne von Beamten wieder Verständnis erwarten. Und sie blitzte mit weiblichen Waffen.
Keine Schminke, kein Lippenstift, kein Nagellack minderten ihre natürliche Frische, kein Ausschnitt, kein Schmuck, keine undezente Betonung gestatteten Assoziationen zum Amiliebchen. Als anständiges deutsches Mädchen, wie es sich Familienväter nur wünschen konnten, trat sie in die Schlange zurück. Und ich ging als betrügerischer Deutscher überall vorneweg meinen Geschäften nach.
In zehn Minuten war alles erledigt, ich wartete draußen vor dem Amt. Langsam kam sie, mit stumpfen Waffen. Die weibliche Rechnung vom sauberen Mädchen war nicht aufgegangen. Der Beamte, vielleicht Vater eines grellen Amiliebchens, hatte sie angeschrien, wie in schlimmsten Nazizeiten. Was sie sich erdreiste, einen KZ-ler abweisen zu wollen.
Die Familie zog ein, kleine, schikanöse Leute, die den Hauptmietern den Zustritt zur Küche verweigerten, wo die Schwiegermutter schlief. Daß sie die sanitären Einrichtungen noch mitbenutzen durften, erwies sich nicht als Glück im Unglück, verstärkt doch gerade in diesem Bereich mangelnde Hygiene die Antipathie. Und die Einquartierten hinterließen unerzogene Spuren.
Meine guten Beziehungen verschlechterten mein Gewissen. Ich erwog, den Bürgermeister zu verständigen, sein feines Gespür für Unrecht zu mobilisieren. Doch das Mädchen kam mir zuvor. Nicht im Rathaus, vielmehr atemlos an meiner Zimmertür.
»Eben ist der KZ-ler verhaftet worden !« platzte sie herein, »Er hat sich als politischer Gefangener ausgegeben, dabei ist er Krimineller. Schon während des Krieges hat er mit anderen Familien zusammengewohnt und sich unbeliebt gemacht. Schließlich hat er aus Rache seinen Nachbarn Munition in den Ofen geworfen, so daß der explodiert ist. Deswegen kam er nach Dachau .«
Im Wohnungsamt blieb der Beamte mit den nicht entnazifizierten Umgangsformen hart. Er warf Frau und Schwiegermutter raus, wies aber ein jüdisches Ehepaar bis zur Auswanderung ein. Die beiden kamen aus Polen. Gemeinsam mit den Hauptmietern benützten sie die Küche, zwei stille, verschreckte Menschen. Es gab Ansätze einander näherzukommen. Doch die jüngste Geschichte verhinderte eine Freundschaft.
»Jetzt versteh’ ich, was Kollektivschuld bedeutet«, sagte das Mädchen zu mir.
Hier hätte auch der Bürgermeister nicht helfen können, der mich wegen der Villa kommen ließ. Er war der Sache gründlich nachgegangen, zum Vorteil der Städtischen Bühnen, und verschaffte mir damit eine weitere Botenrolle. Mit wichtigem Text radelte ich zu meiner Schulfreundin und meldete: »Deine Eltern können in ihr Haus. Die Städtischen Bühnen geben ihnen noch
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