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Der Sieger bleibt allein (German Edition)

Der Sieger bleibt allein (German Edition)

Titel: Der Sieger bleibt allein (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paulo Coelho
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Igor braucht nur seinen falschen Pass, Kreditkarten und Bargeld: alles das hat er zusammen mit der kleinen Beretta, der von Kennern verachteten Waffe, in den Taschen seines Smokings verstaut.
    Er reist immer nur mit leichtem Gepäck, weil er nicht gern viel mit sich herumschleppt. In Cannes stand ihm zwar eine schwierige Mission bevor, aber er hatte dafür nur Material mitgenommen, das wenig wog und einfach zu transportieren war. Er versteht nicht, wieso andere Leute, wenn sie nur zwei oder drei Tage unterwegs sind, riesige Koffer mit sich schleppen.
    Wer den Umschlag öffnen wird, weiß er nicht, und es interessiert ihn auch nicht: Nicht er trifft die Wahl, sondern der Todesengel. Inzwischen kann viel geschehen – oder auch gar nichts.
    Der Gast könnte den Empfang anrufen, sagen, jemand habe etwas nicht für ihn Bestimmtes abgegeben, und darum bitten, dass es abgeholt wird. Oder er wirft den Umschlag in den Papierkorb, weil er glaubt, es handele sich um ein weiteres freundliches Billett der Hotelleitung, die sich erkundigt, ob alles zu seiner Zufriedenheit sei. Ist es ein Mann, der jeden Augenblick mit der Rückkehr seiner Ehefrau rechnet, wird er den Umschlag in die Tasche stecken, in der Hoffnung, er enthalte eine positive Antwort einer anderen Frau, die er am Nachmittag getroffen und zu verführen versucht hat. Es könnte sich aber auch um ein Ehepaar handeln; keiner von beiden weiß, an wen das ›For you‹ gerichtet ist, und da sie sich nicht gegenseitig verdächtigen wollen, werfen sie den Umschlag kurzerhand aus dem Fenster.
    Wenn aber trotz aller dieser Möglichkeiten der Todesengel tatsächlich entschlossen ist, das Gesicht des Empfängers mit seinen Schwingen zu berühren, dann wird der (männliche oder weibliche) Gast den Umschlag aufreißen und nachschauen, was er enthält.
    Etwas, was nur unter großen Mühen dort hineingelangt ist.
    Igor hat die Hilfe seiner alten ›Freunde und Mitstreiter‹ in Anspruch nehmen müssen, derselben, die ihm einst eine beträchtliche Summe als Startkapital für seine Firma geliehen und die sehr ungehalten reagiert hatten, als er ihnen das Darlehen vorzeitig zurückbezahlte. Dieses Darlehen war für sie ein ideales Mittel gewesen, Geld, dessen Herkunft schwer zu erklären war, legal in das neue russische Finanzsystem zu schleusen.
    Trotz dieses »Affronts« hatten sie nach längerer Funkstille wieder Kontakt zu ihm aufgenommen. Bei jedem Gefallen, um den sie ihn baten – wie etwa der Tochter einen Studienplatz an der Moskauer Universität oder für ›Kunden‹ Karten für bestimmte Konzerte zu besorgen –, setzte Igor Himmel und Hölle in Bewegung, um ihre Wünsche zu erfüllen. Schließlich waren sie die Einzigen gewesen, die – von ihren Beweggründen einmal abgesehen – an seine Träume geglaubt hatten. Ewa – inzwischen konnte er nicht einmal mehr ohne Wut an sie denken – hatte sie beschuldigt, die Naivität ihres Mannes ausgenutzt zu haben, um Geld aus ihrem Waffenhandel zu waschen. Als wenn das etwas ausmachte: Igor war weder in den An- noch den Verkauf verwickelt, und bei jedem Geschäft, das auf der Welt getätigt wurde, ging es darum, dass beide Partner davon profitierten.
    Und alle hatten schwierige Zeiten durchgemacht. Einige der Freunde, die ihn finanziert hatten, waren eine Zeitlang im Gefängnis, aber er hatte sie nie fallen lassen – obwohl er inzwischen nicht mehr auf ihre Hilfe angewiesen war. Die Würde eines Menschen bemisst sich nicht daran, wen er auf dem Gipfel des Erfolgs um sich schart, sondern daran, dass er diejenigen nicht vergisst, die ihm in Krisenzeiten die Hand geboten haben. Und es war gleichgültig, ob diese Hände voller Schweiß oder Blut waren: Am Rande des Abgrunds fragt ein Mensch nicht, wer ihm hilft, wieder festen Boden unter die Füße zu bekommen.
    Dankbarkeit zeigen ist wichtig: Man bringt es im Leben nirgendwohin, wenn man vergisst, wer einem in der Not geholfen hat. Und niemand muss daran erinnert werden, dass er geholfen hat oder dass ihm geholfen wurde: Gott schaut auf seine Kinder und belohnt nur die, die sich der Segnungen als würdig erwiesen haben, die ihnen anvertraut wurden.
    Igor wusste also, an wen er sich wenden konnte, als er Curare brauchte – auch wenn er einen exorbitant hohen Preis für etwas zahlen musste, was es im tropischen Regenwald überall sehr viel preiswerter gab.
     
    Er betritt die Hotelhalle. Der Ort, an dem die Party stattfindet, zu der er eingeladen ist, liegt eine halbe Autostunde

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