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Der Sieger bleibt allein (German Edition)

Der Sieger bleibt allein (German Edition)

Titel: Der Sieger bleibt allein (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paulo Coelho
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ans Telefon, fragt eine weibliche Stimme nach einer nicht existierenden Person, worauf der Gast ›Da haben Sie sich in der Zimmernummer geirrt‹ ruft und wütend auflegt. Mission erfüllt, es gibt keinen Grund zur Sorge.
    Betrunkene erleben überrascht, wenn sie stürzen oder mit ihrem Schlüssel in einem Türschloss herumstochern, das nicht zu ihrem Zimmer gehört, dass genau in dem Augenblick, in dem sie feststellen, dass die Tür nicht aufgeht, und mit den Fäusten dagegen zu trommeln beginnen, wie aus dem Nichts ein höflicher, ›zufällig vorbeikommender‹ Hotelangestellter auftaucht und sich anbietet, sie zum richtigen Zimmer zu bringen (in der Regel zu einem Zimmer mit einer ganz anderen Nummer auf einem anderen Stockwerk).
    Igor weiß, dass jeder seiner Schritte im Keller des Hotels aufgezeichnet wird: Tag, Stunde, Minute und Sekunde, wenn er die Lobby des Hotels betritt, wenn er aus dem Fahrstuhl kommt, zur Tür seiner Suite geht und die als Schlüssel dienende Magnetkarte benutzt. Erst hinter der Zimmertür kann er aufatmen. Die Zimmer selbst werden nicht überwacht, das wäre Verletzung der Privatsphäre.
     
    Er verlässt sein Zimmer und zieht die Tür hinter sich zu.
    Seit seiner Ankunft am Vorabend hat er Zeit gehabt, die Hotelkameras zu studieren. Es ist wie bei den Autos – mögen sie auch noch so viele Rückspiegel haben, es gibt immer einen ›toten Winkel‹. Die Kameras zeigen deutlich, was auf dem Flur passiert, nur bei den vier Ecksuiten nicht. Doch sobald einer der Männer im Keller jemanden an einer bestimmten Stelle vorbeikommen und dann nicht auf dem nächsten Bildschirm auftauchen sieht, ist er sofort beunruhigt – vielleicht ist der Betreffende ja bewusstlos geworden– und schickt einen Kollegen vorbei, der das überprüft. Wenn der dann niemanden antrifft, schließt er daraus, dass die betreffende Person in die im toten Winkel liegende Suite eingelassen wurde. Und was hinter der Suitentür geschieht, ist Privatsache.
    Doch Igor wird nicht stehenbleiben, sondern er geht den Flur entlang und schiebt den silbrigen Umschlag unter der Tür der an der Ecke zur Fahrstuhlhalle liegenden Suite durch.
    Das Ganze hat weniger als eine Sekunde gedauert; dem Wachpersonal unten im Keller wird nichts Verdächtiges aufgefallen sein. Wer später die Bänder beschlagnahmt, wird Schwierigkeiten haben, festzustellen, wann und durch wen der Umschlag in die Suite gelangt und wann der Tod des Opfers eingetreten ist. Vielleicht ist der Gast gerade nicht da und öffnet den Umschlag erst spätnachts, wenn er von der After-Dinner-Party zurückkommt. Vielleicht macht er den Umschlag aber auch gleich auf, aber dessen Inhalt wirkt nicht sofort.
    Nach Igor werden auch noch andere an der Ecksuite vorbeigehen, und nachträglich gelten alle als verdächtig; und wenn jemand das Pech hat, schlecht gekleidet zu sein oder einer (während des Filmfestivals nicht selten praktizierten) zwielichtigen Tätigkeit wie Massage, Prostitution oder Drogenhandel nachzugehen, wird er sofort festgenommen und verhört werden.
    Igor ist bewusst, dass er mit etwas nicht gerechnet hat: nämlich dass es einen Tatzeugen geben könnte, wie für den Mord an der Frau am Pier. Nach einer Verzögerung durch die üblichen bürokratischen Abläufe würde man diesem Jungen irgendwann die Aufzeichnungen vorspielen. Aber Igor hat mit einem falschen Pass unter einem fiktiven Namen im Hotel eingecheckt, das Passfoto zeigt einen Mann mit Brille und Schnurrbart (am Empfang hatte man sich nicht die Mühe gemacht, Gast und Foto zu vergleichen; notfalls hätte er gesagt, er habe den Schnurrbart abrasiert und trage jetzt Kontaktlinsen).
    Gesetzt den Fall, die hiesige Polizei kombinierte besonders schnell und käme zu dem Schluss, dass ein Einzeltäter hinter den Morden steckte, dann würden sie im Hotel auf ihn warten, um ihn zu verhören. Aber Igor weiß, dass er gerade zum letzten Mal durch die Flure des Martinez geht.
    Sie werden in sein Zimmer gehen. Einen leeren Koffer ohne einen einzigen Fingerabdruck vorfinden. Sie werden ins Bad gehen und sich sagen: »Schau mal einer an, so reich und wäscht seine Wäsche im Hotelwaschbecken selbst! Kann er etwa die Wäscherei nicht bezahlen?«
    Ein Polizist wird sogenannte Beweismittel – Fingerabdrücke, Haare – sichern und sammeln wollen... und gleich einen Schrei ausstoßen, weil ihm Schwefelsäure, die in diesem Augenblick alles auflösen wird, was Igor zurückgelassen haben könnte, die Hände verätzt.

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