Der Sieger bleibt allein (German Edition)
mir eines immer gewiss: Es ist jederzeit möglich, noch einmal neu anzufangen.«
Und während das Wasser über sein Gericht rinnt, fängt auch für Igor alles neu an. Er hat endlich begriffen, warum der erste Mensch, mit dem er in Cannes wirklich gesprochen hat, ihm jetzt zur Seite steht, ihm hilft, seinen Kurs zu korrigieren. Olivia erklärt ihm, dass er sie weder zufällig noch unnötig geopfert hat. Sie macht ihm klar, dass Ewa schon immer ein verderbtes Geschöpf und nur am gesellschaftlichen Aufstieg interessiert gewesen sei, selbst wenn das bedeutete, ihren Mann zu verlassen.
›Wenn du in Moskau zurück bist, versuch, Sport zu treiben. Viel Sport. Das wird dir helfen, Spannungen abzubauen.‹
In den heißen Wasserdampfwolken sieht er ihr Gesicht Er ist noch nie jemandem so nah gewesen wie jetzt Olivia, dem Mädchen mit den dichten Augenbrauen.
›Mach weiter! Auch wenn du Zweifel hast, mach weiter! Gottes Ratschlüsse sind geheimnisvoll, und manchmal zeigt sich der Weg erst, wenn man anfängt, ihn zu gehen.‹
»Danke, Olivia.« Vielleicht ist er ja hier, um der Welt zu zeigen, wie verrottet die heutige Zeit ist, und in Cannes spiegelt sich dies am allerbesten wider.
Wie auch immer, seine Anwesenheit hier in Cannes hat einen Sinn, und der rechtfertigt sein Planen, die zwei Jahre voller Anspannung, Angst, Ungewissheit.
Er stellt sich vor, wie das nächste Festival aussehen wird: Die Besucher werden für alles Magnetkarten brauchen, sogar für die Strandpartys; auf den Dächern werden überall Scharfschützen postiert sein, Hunderte Polizisten in Zivil sich unter die Menge mischen, an jedem Hoteleingang Metalldetektoren installiert sein, bei denen die Angehörigen der Superklasse Schlange stehen müssen, bis die Polizisten ihre Taschen durchsucht haben. Die Damen müssen ihre hochhackigen Schuhe auszuziehen, die Männer ihre Hosentaschen leeren, weil sonst der Apparat piept. Ergraute Herren werden die Arme heben und es sich gefallen lassen müssen, wie Verbrecher abgetastet zu werden, und ältere Damen in einer Kabine aus Zeltplanen, die überhaupt nicht zur Eleganz des Hotels passen, geduldig Schlange stehen und sich von Metalldetektoren abtasten lassen müssen, bis die zuständige Polizistin herausfindet, was den Alarm ausgelöst hat: der Metallbügel des Büstenhalters.
Die Stadt wird allmählich ein anderes Gesicht zeigen. Nicht Luxus und Glamour, sondern Hektik, Unhöflichkeit, Gleichgültigkeit seitens der Polizei. Die Vereinzelung der Menschen wird immer mehr zunehmen, diesmal ist das System daran schuld und nicht die Erwählten mit ihrer ewigen Arroganz. Die Steuerzahler müssen für die enormen Kosten aufkommen, die durch die Entsendung von Militär in einen einfachen Badeort entstehen, das allein die Aufgabe hat, die Reichen zu beschützen, die nach Cannes gekommen sind, um sich zu amüsieren. Es wird Demonstrationen geben, weil biedere Arbeiter, die das alles für unsinnig halten, dagegen auf die Barrikaden gehen. Der Bürgermeister wird die Wogen zu glätten versuchen, indem er verkündet, man erwäge, diese Mehrkosten auf die Organisatoren des Festivals abzuwälzen. Die Sponsoren, die die Kosten übernehmen könnten, verlieren ihr Interesse daran, weil einer von ihnen von einem dahergelaufenen Sicherheitsbeamten gedemütigt wurde, der ihm befahl, gefälligst den Mund zu halten und die Sicherheitsanweisungen zu befolgen.
Cannes Niedergang beginnt. Nach zwei Jahren sieht die Stadtverwaltung, dass ihre Maßnahmen zur Sicherung von Ruhe und Ordnung sich gelohnt haben. Es gibt weder Morde während des Festivals noch Terroristen, die Panik verbreiten könnten.
Alle würden gern die Zeit zurückdrehen, aber das geht leider nicht. Der Niedergang von Cannes ist unaufhaltsam. Das neue Babylon ist zerstört, das Sodom der Moderne von der Landkarte getilgt.
Als er aus der Dusche kommt, steht sein Entschluss fest: Wenn er wieder in Russland ist, wird er seine Angestellten bitten, den Namen der Eltern des Mädchens in Erfahrung zu bringen. Er wird über unverdächtige Banken anonyme Schenkungen machen. Einen talentierten Schriftsteller schicken, der ihre Geschichte aufschreibt, und für die Übersetzungskosten im Rest der Welt aufkommen.
›Die Geschichte eines Mädchens, das Kunsthandwerk verkaufte, von seinem Verlobten geschlagen, von den Eltern ausgebeutet wurde, bis es eines Tages ihre Seele einem Fremden übergab und damit einen kleinen Winkel der Erde veränderte.‹
Er öffnet den
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