Der Sieger bleibt allein (German Edition)
stellt, niederwalzen, bis sie entweder an ihr Ziel gelangt sind oder gegen einen Laternenpfahl knallen.«
Trotz dieser patzigen Antwort merkt Gabriela, dass sie ins Schwarze getroffen hat. Ihr Mitfahrer beginnt, sich weniger feindselig zu verhalten.
»Und schau hier, was da noch steht: ›Jahrelang hat sie sich geweigert, in einem Film mitzuwirken, weil ihr die Ausbildung am Theater wichtiger war.‹ Das gibt viele Pluspunkte: Du bist jemand Integres und hast die Rolle nur angenommen, weil du von ihr wirklich begeistert bist, obwohl du Angebote hattest, in Stücken von Shakespeare, Beckett oder Genet aufzutreten.«
Der Androgyne zeigt Bildung. Shakespeare kennt jeder, aber Beckett und Genet sind nur etwas für Kenner.
Gabriela – oder Lisa – findet das auch. Der Wagen erreicht sein Ziel, und da sind wieder die Bodyguards in ihren schwarzen Anzügen, mit weißem Hemd und Krawatte; mit ihren kleinen Funkgeräten in der Hand wirken sie wie Polizisten (möglicherweise der Traumberuf all dieser Leute?). Sie winken den Wagen weiter, weil es noch zu früh ist.
Der Androgyne hat nach reiflicher Überlegung beschlossen, es sei besser, früh anzukommen. Er springt aus der Limousine, geht auf einen der Männer zu, die doppelt so groß und breit sind wie er. Gabriela ist nervös. Sie muss sich ablenken, auf andere Gedanken kommen.
»Was für ein Wagen ist das hier?«, fragt sie den Fahrer.
»Ein Maybach 57S«, antwortet der mit deutschem Akzent. »Ein wahres Meisterwerk, perfekter Motor, höchster Luxus.«
Doch Gabriela hört schon nicht mehr hin. Sie sieht, wie der Androgyne mit dem Riesen streitet. Der scheint ihm nicht zuzuhören, bedeutet ihm, wieder einzusteigen, weil er den Verkehr behindere. Der Androgyne, die Mücke, macht auf dem Absatz kehrt und geht zum Wagen zurück.
Er öffnet die hintere Tür und fordert Gabriela auf auszusteigen.
Gabriela befürchtet das Schlimmste. Einen Skandal. Sie geht mit der Mücke am Elefanten vorbei, der ihnen zuruft:
»He, Sie können da nicht rein!«
Doch sie gehen einfach weiter. Andere Stimmen rufen: »Halten Sie sich bitte an die Anweisungen, die Tür ist noch nicht geöffnet!« Gabriela wagt nicht, sich nach der Elefantenhorde umzublicken, die ihnen jetzt wahrscheinlich auf den Fersen ist und sie in der nächsten Sekunde zertrampeln kann.
Doch nichts passiert, obwohl der Androgyne – wahrscheinlich aus Rücksicht auf das lange Kleid seiner Begleiterin – kein bisschen schneller geht. Sie durchqueren den makellos gepflegten Garten, der Horizont färbt sich rosa und blau, die Sonne geht unter.
Der Androgyne genießt seinen kleinen Sieg.
»Sie benehmen sich wie Machos, solange man ihnen nicht Kontra gibt. Aber man braucht nur die Stimme zu heben, ihnen tief in die Augen zu blicken und weiterzugehen, dann geben sie Ruhe. Solange ich Einladungen vorlegen kann, ist alles bestens; die Jungs sind groß, aber nicht so dumm, wie sie möglicherweise aussehen, und wissen, dass nur wichtige Leute so mit ihnen umspringen wie ich eben.«
Und er schließt überraschend bescheiden:
»Ich bin’s schon gewöhnt, so zu tun, als wäre ich wichtig.«
Sie sind inzwischen am Eingang des Luxushotels angelangt, das weitab vom Rummel in Cannes liegt und in dem nur diejenigen absteigen, die es nicht nötig haben, auf der Croisette auf und ab zu gehen. Der Androgyne bittet Gabriela/Lisa, in die Bar zu gehen und zwei Gläser Champagner zu bestellen – so ist klar, dass sie in Begleitung ist. Keine Gespräche mit Fremden. Er will nachsehen, wie es am Eingang zum Festsaal aussieht, und die Flyer verteilen.
»Das ist reine Formsache. Niemand wird dein Foto veröffentlichen, aber ich werde dafür bezahlt. Ich bin gleich wieder zurück.«
»Aber hast du nicht gesagt, dass die Fotografen...«
Die Arroganz ist wieder da. Bevor Gabriela reagieren kann, ist er verschwunden.
Kein einziger Tisch ist mehr frei. Die Bar ist voller Menschen in Smoking und Abendroben. Alle reden leise – wenn sie denn reden, denn die meisten schauen aufs Meer, das man durch die großen Fensterscheiben sehen kann. Auch wenn Gabriela/Lisa zum ersten Mal hier ist, so spürt sie doch sofort die Langeweile, die wie eine unsichtbare Wolke über den Häuptern dieser Privilegierten schwebt.
Alle haben bereits an Hunderten, an Tausenden solcher Galas teilgenommen. Früher hatten sie es noch als Abenteuer empfunden, wie die Begegnung mit einer neuen Liebe, haben auf wichtige berufliche Kontakte gehofft; jetzt, wo sie
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