Der Sieger bleibt allein (German Edition)
jetzt will diese Frau wissen, was er denkt? Wie er sich fühlt? Er streckt die Hand zum Champagnerglas aus, das auf ihn gewartet hat, und leert es in einem Zug.
Bestimmt denkt sie, er gehöre zur Hamid-Hussein-Gruppe, hätte einigen Einfluss, und wünscht sich, dass er ihr hilft und ihr sagt, was sie als Nächstes tun, wie sie sich verhalten soll.
Er weiß das wohl, doch er ist nur für die Dauer des Festivals und nur für einen bestimmten Job gebucht worden, und nur den wird er erfüllen. Wenn die Luxus- und Glamourtage vorüber sind, wird er in seine Wohnung in einem Pariser Vorort zurückkehren, wo ihn seine Nachbarn nur deshalb schikanieren, weil er äußerlich nicht den Leitbildern entspricht, die irgendein Verrückter, indem er eines Tages ›Alle Menschen sind gleich‹ schrie, festgelegt hat. Es stimmt nicht. Im Gegenteil: Alle Menschen sind unterschiedlich und haben ein Recht darauf, diese Unterschiedlichkeit bis in die letzten Konsequenzen auszuleben.
Er wird fernsehen, im Supermarkt nebenan einkaufen, sich Zeitschriften besorgen und lesen, hin und wieder ins Kino gehen. Weil er den Ruf hat, jemand zu sein, dem man Verantwortung übertragen kann, bekommt er hin und wieder einen Anruf von Agenten, die Assistenten mit »viel Erfahrung« im Modebereich suchen, die Models anziehen, Accessoires auswählen können und Leute begleiten, die noch nicht gelernt haben, sich in dieser Welt richtig zu bewegen, und dabei nicht nur verhindern, dass sie sich danebenbenehmen, sondern ihnen gleichzeitig beibringen, was man tun sollte und auf gar keinen Fall tun darf.
Nun, Träume hat er schon. Er ist einzigartig, das sagt er sich immer wieder. Er ist glücklich, weil er nichts mehr vom Leben erwartet. Auch wenn er viel jünger aussieht, ist er schon 40 Jahre alt. Ja, er hatte versucht, Stylist zu werden, aber keine vernünftige Arbeitsstelle bekommen. Er hat sich mit den Leuten zerstritten, die ihm hätten helfen können. Er erwartet nichts mehr vom Leben – obwohl er gebildet ist, einen guten Geschmack und eiserne Disziplin besitzt. Er glaubt nicht mehr daran, dass jemandem auffällt, wie er sich kleidet, und dass dieser Jemand dann sagt: »Phantastisch, wir sollten miteinander reden.« Vor vielen Jahren hatte er ein oder zwei Angebote gehabt, zu modeln, sie aber nicht angenommen, weil es nicht zu seinem Lebensprojekt gehörte, und er bereut es nicht.
Er fertigt seine Kleidung aus Stoffresten aus den Ateliers der Haute Couture selber an. In Cannes ist er mit zwei anderen Männern hoch oben in den Bergen untergebracht, vielleicht gar nicht einmal weit von der Frau, die jetzt neben ihm steht. Sie bekommt jetzt ihre große Chance, und auch wenn er das Leben ungerecht findet, darf er sich jetzt nicht von Frustration oder Neid beherrschen lassen – er wird sein Bestes geben, sonst wird er nie wieder als ›Produktionsassistent‹ gebucht.
Selbstverständlich ist er glücklich: Jemand, der sich nichts wünscht, ist glücklich. Er schaut auf die Uhr – jetzt könnte der richtige Augenblick gekommen sein hineinzugehen.
»Lass uns gehen. Reden können wir ein andermal.«
Er zahlt die Getränke und lässt sich eine Quittung geben – um später, wenn diese Tage des Luxus und Glamours vorüber sind, über jeden Cent abrechnen zu können. Einige Leute erheben sich und tun es ihm gleich. Sie beide müssen sich jetzt beeilen, damit Gabriela nicht in der Menge untergeht, die jetzt hineinzuströmen beginnt. Sie gehen durch den Salon des Hotels bis zum Beginn des Korridors. Der Androgyne gibt die beiden Eintrittskarten ab, die er sorgfältig in seiner Tasche verwahrt hat. Mit solchen Details gibt sich eine Berühmtheit nicht ab, dafür gibt es immer einen Assistenten.
Er ist der Assistent. Sie ist die wichtige Frau und wirkt bereits ein wenig blasiert. Sehr bald schon wird sie erfahren, was es mit dieser Glamourwelt auf sich hat: dass sie einen auslaugt, einem Träume vorgaukelt, die Eitelkeit manipuliert und einen genau in dem Augenblick fallenlässt, wenn man zu allem bereit ist. Ihm selber und allen vor ihm ist es ebenso ergangen.
Sie steigen die Treppe hinunter. In der kleinen Halle vor dem ›Korridor‹ bleiben sie stehen. Es besteht kein Grund zur Eile. Hier ist das anders als auf dem roten Teppich. Wenn jemand deinen Namen ruft, drehe dich hin, und lächle. Wenn einer deinen Namen kennt, bedeutet das, dass du wichtig bist, und dann stehen die Chancen gut, dass alle anderen auch anfangen, Fotos zu machen. Posiere nie
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