Der Sieger bleibt allein (German Edition)
Zerstückelung von 17 Männern verantwortlich war.
Selbstverständlich konnte ich nicht glauben, was die Polizei über meinen Sohn sagte. Wer glaubt schon so was von seinem Sohn? Ich hatte häufig an dem Tisch gesessen, der als satanischer Altar gedient und auf dem die Zerstückelungen stattgefunden hatten. Wenn ich seinen Kühlschrank öffnete, fand ich darin nur ein paar Flaschen Milch und Erfrischungsgetränke. Wie kann es sein, dass das Kind, das ich so viele Male in meinen Armen getragen habe, und das Monster, dessen Gesicht jetzt in allen Zeitungen zu sehen ist, ein und derselbe Mensch sind? Ach, wäre ich doch an der Stelle der andern Eltern, die im Juli 1991 die gefürchtete Nachricht erhielten – dass ihre Kinder nicht einfach verschwunden, sondern ermordet worden waren. Dann könnte ich jetzt an ihr Grab gehen und ihrer gedenken. Aber nein: Mein Sohn lebt und hat diese entsetzlichen Verbrechen begangen.
Satanischer Altar. Charles Manson und seine ›Familie‹. 1969 gingen drei junge Leute in das Haus eines Filmstars und brachten alle Anwesenden um, sogar einen Jungen, der gerade das Haus verließ. Es folgten noch zwei Morde.
»Ich allein könnte die ganze Menschheit umbringen«, hatte Manson gesagt.
Morris sieht sich zum tausendsten Mal das Foto des Mannes an, der hinter diesen Morden steckte und der da inmitten einiger Hippie-Freunde, darunter ein damals berühmter Musiker, in die Kamera lächelt. Alle wirken absolut unverdächtig und reden nur von Frieden und Liebe.
Morris schließt alle Dateien auf seinem Bildschirm. Der Fall Manson kommt den Morden in Cannes am nächsten – Filmmilieu, bekannte Opfer. Eine Art politisches Manifest gegen Luxus, Konsumterror, Starkult. Obwohl er der Mentor war, hatte sich Manson nie selbst am Tatort befunden. Er benutzte seine Jünger.
Nein, dort war die Spur nicht zu finden. Und trotz der E-Mails, in denen er beteuert hatte, er könne in so kurzer Zeit keine Antwort geben, reagiert Morris wie alle Kriminalbeamte zu allen Zeiten angesichts von Serienmördern:
Er beginnt den Fall persönlich zu nehmen.
Auf der einen Seite steht ein Mann, der höchstwahrscheinlich einen ganz anderen Beruf hat, von dem man aufgrund der Waffen, die er benutzt, annehmen kann, dass er seine Verbrechen sorgfältig geplant hat; allerdings agiert er auf ihm völlig unbekanntem Terrain und in völliger Unkenntnis der Fähigkeiten der örtlichen Polizei; er ist also keineswegs unverwundbar. Auf der anderen Seite steht die Erfahrung verschiedenster Sicherheitsorgane, die gewohnt sind, mit allen Abartigkeiten der Gesellschaft umzugehen. Die aber dennoch außerstande sind, das mörderische Vorhaben eines einfachen Amateurs zu stoppen.
Er hätte den Anruf des Kommissars nicht annehmen dürfen. Er hatte beschlossen, in Südfrankreich zu leben, weil das Klima dort besser, die Menschen fröhlicher und das Meer in der Nähe war. Er hatte gehofft, viele Jahre vor sich zu haben, in denen er das Leben genießen konnte.
Als er in Rente ging und London verließ, galt er als der Beste von allen. Und wenn er jetzt versagen und dies seinen ehemaligen Kollegen zu Ohren kommen würde – dann könnte sein wohlverdienter Ruf darunter leiden, den er sich durch viel Arbeit und viel Engagement erworben hat. Die ehemaligen Kollegen würden sagen: »Er hat seine Mängel zu kompensieren versucht, als er als Erster darauf bestanden hat, moderne Computer in unserer Abteilung einzusetzen. Doch die ganze neue Technologie ändert nichts daran, dass er zu alt ist, um mit den Herausforderungen unserer neuen Zeit Schritt zu halten.«
Morris drückt auf den Knopf: Ausschalten. Kurzes Aufflackern des Logos der benutzten Software, der Bildschirm wird dunkel. In der Maschine erlöschen die elektronischen Impulse des Arbeitsspeichers und hinterlassen dort keinerlei Schuldgefühl, schlechtes Gewissen, Ohnmachtsgefühl.
Morris’ Körper hat keinen Abschaltknopf. Die Leitungen in seinem Gehirn funktionieren weiter. Sie wiederholen ständig dieselben Schlussfolgerungen, versuchen Nichtzurechtfertigendes zu rechtfertigen, sein Selbstwertgefühl zu untergraben, ihm einzureden, dass seine Kollegen recht haben und dass sein Alter tatsächlich seinen Instinkt und seine analytischen Fähigkeiten beeinträchtigt.
Er geht in die Küche, schaltet die Espressomaschine an, die Probleme macht. Er hat sich schon überlegt, sie wegzuwerfen und eine neue zu kaufen.
Glücklicherweise hat die Maschine diesmal beschlossen zu
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