Der Sieger bleibt allein (German Edition)
sein Nicken als ›Ich weiß zwar nicht, wer das ist, möchte aber nicht als Ignorant dastehen‹ deuten wird. Sie redet ununterbrochen von Zimmern voller Geschenke, vom roten Teppich, von einem Vorstellungsgespräch auf einer Jacht, von strengen Auswahlkriterien, ihren Zukunftsplänen.
»Es gibt jetzt bestimmt Tausende von Mädchen in Cannes und Millionen auf der ganzen Welt, die fürs Leben gern mit mir tauschen und sich gern mit Ihnen hier unterhalten und so etwas erzählen würden. Meine Gebete wurden erhört. Meine Mühen belohnt.«
Seine andere junge Begleiterin wirkt zurückhaltender, aber auch trauriger – vielleicht liegt es an ihrer Jugend und der fehlenden Erfahrung. Igor stand genau hinter den Fotografen, als sie vorbeikam, und hörte, wie sie ihren Namen riefen und sie am Ende des »Korridors« mit Fragen bestürmten. Aber offensichtlich haben die anderen Gäste der Gala keine Ahnung, wer sie ist. Erst so bestürmt und dann so unvermittelt fallengelassen.
Bestimmt war die Initiative, sich zu ihm zu stellen und ihn zu fragen, was er hier machte, von dem redseligen Mädchen ausgegangen. Anfangs war es ihm unangenehm, aber er wusste, dass sonst andere Leute zu ihm kommen würden, um den Eindruck zu vermeiden, sie seien ganz allein – verloren auf der Gala und würden hier niemanden kennen. Darum hat er sich bereitwillig in ein Gespräch verwickeln lassen, obwohl er in Gedanken ganz woanders war. Er stellte sich seinen Begleiterinnen als Gunther vor, ein auf schwere Maschinen spezialisierter Deutscher (etwas, was niemanden interessierte), der auf Einladung von Freunden zu der Gala erschienen war. Er würde am nächsten Tag wieder abreisen (was er inständig hofft, obwohl Gottes Ratschlüsse geheimnisvoll sind).
Als Gabriela erfuhr, dass er nicht in der Filmindustrie arbeitete und nicht lange beim Festival bleiben würde, wollte sie sich sofort von ihm abwenden. Doch die Jüngere hinderte sie daran, indem sie meinte, es sei doch immer schön, neue Leute kennenzulernen. Und da standen die drei dann: Er wartete auf einen Freund, der nicht kam, sie auf einen Assistenten, der verschwunden war, und das schweigende Mädchen auf gar niemanden, nur auf ein wenig Frieden.
Dann passiert alles ganz schnell: Die Schauspielerin hat offenbar etwas Staub auf seinem Smokingjackett bemerkt und ihn weggewischt, noch bevor er reagieren kann.
»Rauchen Sie Zigarre?«, fragt sie überrascht.
Glück gehabt: Zigarre.
»Ja, nach dem Abendessen.«
»Wenn Sie möchten, lade ich Sie beide später zu einer Party auf einer Jacht ein. Aber dazu muss ich erst meinen Assistenten finden.«
Das jüngere Mädchen meint, sie soll nichts überstürzen. Sie sei doch gerade erst für einen Film unter Vertrag genommen worden und noch lange nicht so weit, dass sie mit Freunden oder einer Entourage umherziehen könne, wie diese Parasiten im Schlepptau der Stars weltweit genannt werden. Sie müsse schon dem Protokoll folgen und allein hingehen.
Die Schauspielerin bedankt sich für den Ratschlag, und sobald der nächste Kellner vorbeikommt, tauscht sie ihr halbvolles Glas wieder gegen ein volles aus.
»Ich finde übrigens, Sie sollten nicht so schnell so viel trinken«, sagt Igor/Gunther, indem er ihr galant das Glas abnimmt und den Inhalt über die Balustrade kippt. Die Schauspielerin ist erst entgeistert, dann ist sie froh: Der Mann will offensichtlich nur ihr Bestes.
»Ich bin sehr aufgeregt«, gesteht sie. »Ich muss mich etwas beruhigen. Könnte ich vielleicht eine Ihrer Zigarren rauchen?«
»Tut mir leid, ich hatte nur eine. Und außerdem ist wissenschaftlich bewiesen, dass Nikotin aufputschend wirkt und nicht beruhigend.«
Eine Zigarre. Nun ja, die Form ist ähnlich, aber sonst haben die beiden Gegenstände nichts gemein. In der linken oberen Tasche seines Jacketts steckt ein Schalldämpfer.
Ein etwa zehn Zentimeter langer Gegenstand, der, an das Rohr seiner in der Hosentasche verwahrten Beretta geschraubt, wahre Wunder wirken kann, nämlich aus einem ›Peng!‹ ein ›Puff!‹ machen.
Und das, weil ein einfaches physikalisches Gesetz in Aktion tritt, wenn eine Waffe mit einem Schalldämpfer abgefeuert wird: Die Geschwindigkeit der Kugel wird vermindert, weil sie eine Reihe von Gummiringen passieren muss, während die beim Abfeuern entstehenden Gase den Hohlraum um den Zylinder füllen, schnell abkühlen und damit verhindern, dass die Explosion des Pulvers zu hören ist.
Sehr schlecht für Schüsse aus großer Distanz,
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