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Der Sieger bleibt allein (German Edition)

Der Sieger bleibt allein (German Edition)

Titel: Der Sieger bleibt allein (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paulo Coelho
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funktionieren, und er trinkt gemächlich den Kaffee. Ein Großteil des Tages vergeht bei ihm mit Knöpfedrücken: Notebook, Drucker, Handy, Licht, Herd, Kaffeemaschine, Faxgerät.
    Jetzt aber muss er den richtigen Knopf in seinem Hirn drücken. Es bringt nichts, die ihm von der Polizei geschickten Dateien noch einmal zu lesen. Er muss anders denken. Eine Liste anlegen, auch wenn sie nur bereits Bekanntes wiederholt:
    a) Der Täter ist ziemlich gebildet und raffiniert – zumindest, was die Wahl seiner Waffen betrifft, mit denen er sich außerdem sehr gut auskennt.
    b) Er ist nicht aus der Gegend, sonst hätte er sich nicht ausgerechnet die Zeit im Jahr ausgesucht, in der es in Cannes von Polizisten wimmelt.
    c) Er hinterlässt keine deutliche Handschrift. Oder, besser gesagt, er will nicht identifiziert werden. Obwohl es offensichtlich ist, sind Handschriften bei Verbrechen eine verzweifelte Art, das vom Monster begangene Böse zu verhindern, hat doch schon Dr. Jekyll zu Mr. Hyde gesagt, er solle ihn aufhalten, er füge der Gesellschaft nur Schaden zu und könne sich nicht beherrschen.
    d) Die Tatsache, dass er in zwei Fällen imstande war, sich seinem Opfer zu nähern, ihm in die Augen zu schauen, Näheres über sein Leben zu erfahren, bedeutet, dass er es gewohnt ist, ohne Gewissensbisse zu töten. Er wird also in irgendeinem Krieg gekämpft haben.
    e) Er muss Geld haben, viel Geld – nicht nur, weil Cannes während des Festivals teuer ist, sondern allein schon wegen der Kosten für den Blausäureumschlag. Morris schätzt, dass er dafür etwa fünftausend Dollar – 40 für das Gift und 4960 für die Verarbeitung und Verpackung bezahlen muss.
    f) Er gehört weder zur Drogenmafia, noch ist er Waffenhändler oder so, sonst wäre ihm europol schon auf den Fersen. Anders als die meisten Kriminellen annehmen, sind sie oft nur noch auf freiem Fuß, weil die Zeit noch nicht reif dafür ist, sie hinter Gitter zu bringen. Solche Gruppen sind von Agenten unterwandert, deren Tätigkeit mit Gold aufgewogen wird.
    g) Da er nicht gefasst werden will, geht er äußerst vorsichtig vor. Sein Unterbewusstsein aber hat er nicht unter Kontrolle, und das gehorcht – unwillkürlich – einem bestimmten Muster.
    h) Er wirkt vollkommen normal, erweckt keinerlei Verdacht; wahrscheinlich ist er sogar sanft und nett und gewinnt spielend das Vertrauen derer, die er anschließend tötet. Er verbringt eine gewisse Zeit mit seinen Opfern, zwei davon Frauen, die gemeinhin misstrauischer sind als Männer.
    i) Er wählt seine Opfer nicht aus. Sie können Männer oder Frauen sein, Alter und gesellschaftliche Stellung spielen keine Rolle.
     
    Morris hält einen Augenblick inne. Etwas von dem, was er aufgeschrieben hat, passt nicht zum Rest.
    Er liest alles noch zwei- oder dreimal. Beim vierten Durchgang merkt er, was nicht passt:
     
    c) Er hinterlässt keine deutliche Handschrift. Oder, besser gesagt, er will nicht identifiziert werden.
     
    Also ist der Mörder nicht wie Manson darauf aus, die Welt zu säubern; er will auch nicht wie Ridgway seine Stadt läutern; er will nicht den Appetit der Götter stillen wie Dahmer. Ein großer Teil der Verbrecher will nicht gefangen werden, wohl aber identifiziert. Einige, um in die Schlagzeilen zu kommen, berühmt zu werden wie Zodiac oder Jack the Ripper – vielleicht meinen sie ja, ihre Enkel würden stolz auf sie sein, wenn sie dereinst eine verstaubte Zeitung auf dem Dachboden finden. Andere haben eine Mission zu erfüllen: Terror verbreiten und Prostituierte vertreiben beispielsweise. Psychoanalytiker, die hierzu angehört wurden, kamen zu dem Schluss, dass Serienmörder, die von einem Augenblick auf den anderen aufgehört haben zu töten, dies getan haben, weil die Botschaft, die sie schicken wollten, angekommen war.
    Ja. Das ist die Antwort. Warum war er nicht schon eher darauf gekommen?
    Aus einem einfachen Grund: weil der Mörder die polizeilichen Ermittlungen einerseits auf sich selber und andererseits auf die Person lenkt, für die die Botschaft bestimmt ist. Der Mörder von Cannes tötet schnell. Morris ist sich fast sicher, dass er bald verschwinden wird, dann nämlich, wenn seine Botschaft angekommen ist.
    In zwei, höchstens drei Tagen. Und wie bei einigen der Serienmorde, bei denen die Opfer keine gemeinsamen Merkmale haben, wird die Botschaft an eine Person gerichtet sein.
    Eine einzige Person.
    Morris kehrt zu seinem Notebook zurück, schaltet es wieder ein und schreibt dem Kommissar

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