Der Sieger bleibt allein (German Edition)
Begleiter hat, von der der Ehemann just an diesem Abend erfahren hat – das könnte die gespannte Stimmung am Tisch erklären.
»Sein Name ist Igor«, klärt die Frau sie auf. »Ihm gehört eine der größten Mobiltelefongesellschaften Russlands. Das ist sehr viel wichtiger und einträglicher, als schwere Maschinen zu verkaufen.«
Und wenn das so war, warum hatte er dann gelogen? Sie beschließt, von nun an den Mund zu halten.
»Ich hatte nicht damit gerechnet, dich hier zu treffen, Igor«, sagt die Frau jetzt zu Gunther beziehungsweise Igor.
»Ich war gekommen, um dich zu holen. Aber ich habe es mir anders überlegt«, ist die Antwort.
Gabriela berührt ihre mit Seidenpapier vollgestopfte Tasche und macht ein überraschtes Gesicht.
»Mein Handy klingelt. Wahrscheinlich ist mein ursprünglicher Begleiter zurück und ich muss zu ihm. Ich bitte vielmals um Entschuldigung, aber er ist von weit her gekommen und kennt sonst niemanden hier, und ich fühle mich für ihn verantwortlich.«
Sie erhebt sich. Die Etikette lehrt, dass man jemandem, der gerade isst, nicht die Hand gibt – obwohl bislang keiner das Besteck auch nur angerührt hat. Aber die Weingläser sind bereits leer.
Und der Mann, der bis vor zwei Minuten noch Gunther hieß, hat gerade eine neue Flasche für den Tisch bestellt.
»Ich hoffe, du hast meine Botschaften erhalten«, sagt Igor.
»Ich habe drei erhalten. Vielleicht ist ja das Telefonsystem hier schlechter als deins.«
»Es geht nicht ums Telefonsystem.«
»Dann weiß ich nicht, worauf du hinauswillst.«
Sie möchte am liebsten sagen: ›Selbstverständlich weiß ich das.‹
Igor müsste wissen, dass sie im ersten Jahr ihrer Beziehung mit Hamid auf einen Anruf, eine Botschaft, eine Mitteilung von einem gemeinsamen Freund mit der Nachricht gewartet hatte, dass er sie vermisste. Sie wollte ihn nicht in ihrer Nähe haben, aber sie wusste, ihn zu verletzen war das Schlimmste, was sie machen konnte – sie musste zumindest seine Wut lindern, ihm vorspielen, dass sie beide letztlich gute Freunde bleiben würden. An einem Abend, als sie etwas getrunken und ihn angerufen hatte, war seine Mobilnummer nicht mehr die alte. Als sie in seinem Büro anrief, sagte man ihr, er sei »in einer Besprechung«. Bei ihren nächsten Anrufen – immer wenn sie sich etwas Mut angetrunken hatte – hieß es entweder, Igor sei »auf Reisen« oder »er wird Sie gleich zurückrufen«. Was selbstverständlich nie geschah.
Und dann hatte sie angefangen, überall Gespenster zu sehen, hatte sich beobachtet gefühlt, gezittert, weil sie fürchtete, demnächst werde sie das gleiche Schicksal ereilen wie einst den Bettler und die anderen Leute, von denen er hatte durchblicken lassen, er habe ihnen »ein besseres Leben ermöglicht«. Hamid wollte nie etwas über ihre Vergangenheit wissen, meinte immer, jeder habe das Recht, sein Privatleben im Untergrund der Erinnerung zu verwahren. Er tat alles, um sie glücklich zu machen, sagte, sein Leben habe erst seit ihrer Begegnung einen Sinn, und zeigte ihr, dass sie sich bei ihm sicher fühlen konnte.
Und dann klingelte eines Tages das Absolute Böse an ihrer Londoner Haustür. Hamid war zu Hause und warf Igor hinaus. Der Vorfall blieb ohne Nachspiel.
Sie redete sich ein, sie hätte die einzig richtige Wahl getroffen. In dem Augenblick, in dem wir uns für einen Weg entscheiden, hören die anderen Wege auf zu existieren. Es war kindisch von ihr gewesen, anzunehmen, sie könnte mit dem einen verheiratet und mit dem anderen befreundet sein – so etwas ging nur bei psychisch ausgeglichenen Menschen, was ihr Exmann nicht war. Sie tat besser daran, zu glauben, irgendeine unsichtbare Macht habe sie vor dem Absoluten Bösen errettet.
Als echter Frau gelang es ihr, den neuen Mann an ihrer Seite von sich abhängig zu machen und ihm in allem, wo es ging, zu helfen: als Geliebte, Ratgeberin, Ehefrau, Schwester. Sie verwandte all ihre Kraft darauf, ihren neuen Lebensgefährten zu unterstützen. Währenddessen hatte sie nur eine richtige Freundin, die so unvermittelt, wie sie aufgetaucht war, auch wieder verschwand. Sie war ebenfalls Russin, doch anders als Ewa hatte nicht sie ihren Mann, sondern ihr Mann sie verlassen, und sie wusste weder aus noch ein. Fast täglich hatte Ewa mit ihr geredet.
»Ich habe alles hinter mir gelassen«, hatte sie ihrer Freundin gesagt, »und ich bereue es nicht. Ich hätte es auch getan, wenn Hamid nicht – gegen meinen Willen – die schöne Finca in
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