Der Sieger bleibt allein (German Edition)
Zuschauerzahlen in den Kinos stark rückläufig. Die Leute gehen seltener ins Kino, können sie doch auf Kabelfernsehkanälen für einen lächerlichen Preis unter fünfhundert Filmen pro Tag wählen.
Und was noch schlimmer ist: Das Internet erlaubt heute allen, Filmemacher zu sein. Spezielle Portale zeigen Filmchen von Babys bei ihren ersten Gehversuchen, von Männern und Frauen, die in Kriegen enthauptet werden, von Frauen, die ihren Körper herzeigen, weil sie der Gedanke erregt, jemand könnte durch ihren Striptease Augenblicke einsamer Lust erleben. Sie zeigen Filmchen von Menschen, die sich haben einfrieren lassen, von echten Unfällen, Sportszenen, Modenschauen. Sie zeigen Videos mit versteckter Kamera, in denen Menschen in peinliche Situationen gebracht werden.
Und wenn die Leute ausgehen, geben sie ihr Geld lieber für Restaurantbesuche und Markenkleidung aus. Filme können sie ja auf ihren High-Definition-Fernsehbildschirmen oder auf ihren Computern anschauen.
Filme. Lang ist es her, da erinnerten sich alle an die Gewinner der Goldenen Palme. Würde man heute danach fragen, würde niemand wissen, wer sie im Vorjahr gewonnen hat, sogar Leute, die am Festival teilgenommen haben. »Irgendein Rumäne«, sagte einer. – »Nein, ich bin mir sicher, dass es ein Deutscher war«, würde ein anderer entgegnen. Sie würden heimlich im Katalog nachschauen und herausfinden, dass es ein Italiener war – der Film wurde allerdings nur in Kunstkinos gezeigt.
Die Filmtheater, die nach einer Zeit, in der ihnen die Videoverleiher Konkurrenz machten, wieder steigende Umsatzzahlen zu verzeichnen haben, scheinen erneut in eine schwierige Phase zu kommen, weil ihnen die dvd s Konkurrenz machen. Alte Produktionen werden gratis beim Kauf einer Zeitung mitgegeben, man kann Filme aus dem Internet herunterladen, legal oder illegal. Das führt zu einem stärkeren Konkurrenzkampf unter den Filmverleihern. Gleichzeitig machen die Studios, die viel in ihre Filme investiert haben, großen Druck, damit ihr Film gleichzeitig in möglichst vielen Kinos gezeigt wird, was es jeder anderen Neuproduktion noch schwerer macht, sich durchzusetzen.
Die wenigen Abenteurer, die trotz dieser widrigen Bedingungen das Risiko eingehen, einen Film zu drehen, merken zu spät, dass es nicht reicht, am Ende ein hochwertiges Produkt in Händen zu halten. Die Kosten für die Werbung, damit ein Film in die wichtigsten Städte der Welt gelangt, sind astronomisch hoch: ganzseitige Anzeigen in Zeitungen und Zeitschriften, Empfänge, Pressearbeit, Promotiontouren. Dazu kommen ständig steigende Personalkosten, Filmausrüstungen auf dem neuesten Stand der Technik. Und das größte Problem: jemanden zu finden, der das Endprodukt vertreibt.
Dennoch beginnt die Pilgerreise jedes Jahr aufs Neue. Zu festgelegten Terminen sind alle zu den Festivals unterwegs. Was auf der Leinwand gezeigt wird, interessiert die Superklasse dabei am wenigsten. Sie steht hinter Gesellschaften, die bereit sind, ein Zehntel des angemessenen Preises zu zahlen, um einem bestimmten Filmemacher die »Ehre« zuteilwerden zu lassen, seinen Film im Fernsehen auszustrahlen. Im Gegenzug wird allerdings verlangt, dass das Material noch einmal überarbeitet, familientauglich gemacht wird. Oder es werden neue Fassungen erbeten, fürs nächste Jahr ein Vertrag in Aussicht gestellt, falls das Drehbuch verändert und ein bestimmtes Thema in den Mittelpunkt gestellt wird – ein Versprechen, das nicht immer gehalten wird.
Die Filmemacher hören sich das an und akzeptieren letztlich, weil ihnen keine Wahl bleibt. Die Superklasse hat das Sagen in der Welt, ihre Argumente kommen freundlich daher, ihre Stimme ist sanft, ihr Lächeln höflich, aber ihre Entscheidungen sind endgültig. Die Angehörigen der Superklasse wissen, was sie wollen. Sie akzeptieren oder lehnen ab. Sie haben die Macht.
Und die Mächtigen verhandeln mit niemandem, allenfalls mit ihresgleichen. Es gibt immer einen Helden – in der Welt der Fiktion wie auch im wirklichen Leben.
Und Maureen blickt zu einem dieser Helden hinüber. Drei Jahre voller Arbeit, Träume, Reisen nach Los Angeles liegen hinter ihr. Sie hatte Geschenke gemacht, Freunde, bei denen sie auf der »Gefälligkeitsbank« etwas guthatte, um Hilfe gebeten. Und ihr Exfreund, der mit ihr die Filmschule besucht und entdeckt hatte, dass es sehr viel sicherer war, für eine wichtige Filmzeitschrift zu arbeiten, als Kopf und Kragen und das eigene Geld für einen eigenen
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